Eine quietschbunte, aufblasbare Kuh, Strohballen, ein schenkelklopfendes Volk in Tracht und Lederhosen – so stellt sich offenbar ein oberösterreichischer Provinzler die fränkische Provinz vor. Matthias Davids, der seit 2012 Künstlerischer Leiter der Sparte Musical am Landestheater Linz ist, inszeniert die neuen Meistersinger von Nürnberg bei den Bayreuther Festspielen und ist sich für keinen Flachwitz und kein Klischee zu schade. Seine Maxime, diese Oper von seiner Rezeptionsgeschichte zu befreien und ein zugänglichen, unterhaltsamen Abend anzubieten, mag vielleicht geglückt sein, aber diese Entscheidung scheidet dennoch die Geister des guten Geschmacks.
Davids zwingt Wagners wuchtige Komödie in ein Unterhaltungsformat, in das sie nicht recht passen will. Zwar sind die Meistersinger Wagners einzige wirkliche Komödie (wenn man das Frühwerk Das Liebesverbot beiseite lässt), doch ihr Humor ist oft substanzieller, als Davids’ Regie suggeriert. Er übersieht, dass die Oper zugleich als nationale Selbstvergewisserung konzipiert wurde, die in der Rezeptionsgeschichte immer auch durch ihre Vereinnahmung im Nationalsozialismus belastet ist. Darüber hinaus verhandelt sie Traditions- und Generationskonflikte sowie eine romantische Erzählung, die bei aller Komik ernst genommen werden will. Während Barrie Koskys Vorgängerinszenierung die beklemmend politische Dimension offenlegte, bleibt bei Davids zwischen Slapstick und Kalauer wenig Raum für Tiefenschärfe.
Das Geschehen wird nahe am Libretto bebildert: Kirche – vorhanden. Fachwerkhäuser – vorhanden. Bayerische Festwiese – ebenfalls vorhanden. Unerwartete Momente gibt es kaum, und das Gebotene hat selten ästhetisches Gewicht. Von einem Musicalchef könnte man spritzige Choreographien, rasche Szenenwechsel und einfallsreiche Bühnenbilder erwarten – hier blieb Bayreuths Festspielroutine unerschüttert.
Er scheint all seine Ideen und seine Fantasie für den letzten Akt und seinen Festspielwiesenklamauk verbraucht zu haben. Ästhetisch zwischen Musikantenstadel und Bergkirchweih angesiedelt, führt er die Komik des Festspielaufmarschs ad absurdum. Bei dieser psychedelischen Sonnenwendfeier wird Eva – reichlich blumenbeschmückt – als Mitsommernachtsopfer dargebracht.
Trotz aufblasbarer Kulissen ist aus der Regie schnell die Luft raus. Walter will trotz ausdrücklicher Überredungsversuche kein Meister werden und Eva emanzipiert sich endlich und verlässt mit ihm letztlich die Szene – eine nachvollziehbare Entscheidung.
Davids’ Regie bringt zwar wimmelbildartige Szenen und ausgereizte Laiendarstellergesten hervor, doch dahinter herrscht oft szenischer Stillstand bei äußerlicher Geschäftigkeit.
Musikalisch setzte Daniele Gatti am Pult des Bayreuther Festspielorchesters auf ausgedehnte, getragen langsame Tempi. Seine Lesart trug einen tristanesken Grundton: fließend miteinander verwobene Melodielinien über einem stets melancholischen Fundament, ohne jemals eine unbeschwerte Leichtigkeit zu erreichen. Damit setzte er einen markanten Kontrapunkt zur oberflächlich bleibenden Regie.
Einige Sänger*innen hatten Mühe, sich gegen dieses klangliche Schwergewicht durchzusetzen. Gattis Vorliebe für breite Forte-Passagen und abrupte Tempowechsel führte mehrfach zu Asynchronitäten zwischen Bühne und Graben.
Christina Nilsson behauptete sich mit müheloser stimmlicher Präsenz und beeindruckender Durchschlagskraft im Festspielhaus. Ihr Sopran verfügt über eine großzügige Fülle und ein tragfähiges, leuchtendes Timbre, das auch in den stärker orchestrierten Passagen sicher zur Geltung kam. Besonders in den lyrisch ausgesungenen Momenten ließ sie ein elegantes Legato und eine schöne, strömende Linie hören. Allerdings neigte ihre Interpretation stellenweise zu einem übermäßig dramatischen Zugriff, wodurch der Partie jene feine, jugendliche Leichtigkeit abhandenkam, die Eva eine besondere Zartheit und Anmut verleiht. Dennoch gelang es Nilsson, die Figur mit stimmlicher Autorität und starker Bühnenpräsenz zu verankern.
Michael Spyres, der sich zunehmend im deutschen Fach profiliert, stellte sich mit dem Walther von Stolzing einer der umfangreichsten und anspruchsvollsten Tenorpartien Wagners. In den lyrischeren Passagen, etwa in der Ansprache an Eva, zeigte er eine elegante Phrasierung und schöne, geschmeidige Bögen. Sein grundiert dunkler, kerniger Tenor gab der Figur Lebendigkeit, wirkte jedoch in exponierten Passagen stellenweise angestrengt und in der Phrasierung nicht immer geschmeidig – besonders im Preislied. Gleichwohl zeichnete Spyres einen Walther von starker Präsenz, dessen jugendliche Entschlossenheit sich glaubwürdig vermittelte, und bewies damit, dass er das Potential besitzt, diese Partie in den kommenden Jahren noch weiter zu vertiefen und vokal abzurunden.
Für den indisponierten Georg Zeppenfeld, der die Partie szenisch übernahm, aber stimmlich pausierte, sprang Nicholas Brownlee ein. Bereits Sachs-erfahren aus der Frankfurter Produktion und mit Wagner-Rollen wie dem Rheingold-Wotan vertraut, brachte er jugendliche Virilität, ein angenehm schwingendes Vibrato und kraftvolle Frische mit. Seine Interpretation blieb – dem kurzfristigen Einspringen geschuldet – noch eher allgemein; differenziertere Phrasierung und stärker erzählerischer Gestus könnten das Porträt künftig vertiefen.
Ya-Chung Huang, ebenfalls ein spontaner Einspringer, gestaltete den David mit sichtbarer Hingabe und Spielfreude. Seine helle, bewegliche Tenorstimme passte gut zur Figur, konnte sich aber nicht in allen Momenten mit den oft wechselhaften Tempi Gattis verzahnen.
Die geschlossenste und zugleich eindrucksvollste Leistung des Abends bot Michael Nagy als Beckmesser. Mit warmem, geschmeidigem Bariton, feiner stimmlicher Linienführung und einer bis ins Detail durchdachten, exzentrisch gefärbten Darstellung verband er vokale Eleganz mit prägnanter Charakterzeichnung – musikalisch wie darstellerisch ein Höhepunkt.
Ob dieser Humor dem entspricht, was Wagner im Sinn hatte, bleibt fraglich. Für manche Festspielgäste bot der Abend willkommene Leichtigkeit und reichlich Klamauk. Wer jedoch eine tiefschürfende, revelatorische Inszenierung erhofft hatte, verließ Bayreuth wohl enttäuscht. Doch auch hier gilt: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
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