Luther, Monteverdi, Telemann - diese drei prägen aufgrund ihrer runden Jubiläen, ersterer zusammen mit Bach, vielfach das musikalische Geschehen 2017. Auch Mendelssohn feiert dieses Jahr ein kleines Jubiläum, selbst wenn seine Werke durch prominente Konzerte und Einspielungen besonders in den beiden letzten Jahren im Fokus standen. Sein Paulus scheint mir darin aber merkwürdigerweise etwas vernachlässigt zu werden. Dabei ist das erste große Oratorium Mendelssohns prädestiniert, mit der Geschichte des bekehrten Märtyrers in der musikalischen Ausfertigung aus biblischer Dramatik und Feierlichkeit die Brücke zu den festlichen Anlässen zu schlagen. Dies holte nun das ChorWerk Ruhr unter Florian Helgath nach, denen in bereits gewohnter Zusammenarbeit das Concerto Köln zur Seite saß.
Und mit dem Stichwort des Sitzens, präziser formuliert der Aufstellung, gab es noch vor dem ersten Auftakt Enttäuschungen zu verdauen. Helgath hatte sich nämlich für die amerikanische Ordnung des Orchesters entschieden, was zum einen im Widerspruch zur im Programm angekündigten Platzierung nach dem Vorbild der ersten Aufführung im Leipziger Gewandhaus stand. Zum anderen trübte es das Balancebild, indem das typisch spritzig-wellengängige und raummalende Flirren der Violinen untergraben wurde. Doch damit nicht genug; auch der Chor stand nicht vor dem Orchester, geschweige denn in dem dafür tradierten Tableau. Konsequente Inkonsequenz!
Positiv überraschen konnten mich dagegen die solistischen Sopran- und Basspartien, die ansonsten in Mendelssohn'schen Oratorien in romantisch und dramatisch falsch verstandenem, überladenem Vibrato-Geleier neben musikalischer Ästhetik vor allem die Textverständlichkeit vermissen lassen. Überhaupt nicht so Johanna Winkel und Markus Eiche. In bisher ungehörter Deutlichkeit überzeugten sie in ihren Rollen als Erzähler und Paulus. Winkel beherrschte ihren wandlungsvollen Sopran im Durchdringen der musikalischen Anlage aus meditativer Milde mit sanftestem, eng geführten Vibrato oder auch wohltuendem phrasiertem Verzicht auf dasselbe sowie feuriger Prägnanz in ihren selteneren Drama-Vorträgen. Sie wirkte in ihrer meisterlichen Zurückhaltung nie zerbrechlich oder ausdruckslos, sondern lyrisch sondiert dem Text verpflichtet und so in der bewussten Kontrastierung gefestigt, dass die expressiven Ausbrüche nicht überspitzt abfielen. Wie in ihrer „Jerusalem“-Arie konnte sie sich in weitesten Teilen auf die kongruente Orchesterreaktion verlassen, die bei keinem anderen Part in dynamischer und artikulatorischer Gesamtübersetzung so übereinstimmte wie hier.
Markus Eiche stellte sich in erster Erscheinung als Saulus unter harten Paukenschlägen und beißenden Oboen mit ebenfalls größtmöglicher Verständlichkeit ins rechte Licht, wozu die äußerlich fast lässige Herangehensweise beitrug, die eine ausladende Überzeichnung verhinderte. Somit blieben Technik und Höreindruck auch von störenden Tonschleifern verschont. Gerade dadurch präsentierte er sich in der Wandlung zum Paulus als glaubwürdig starker Protagonist, der die klare Überzeugung aus dem erlebten Wort heraus in seine Stimme führte, in mittlerer Lage mit Wärme und Eleganz, im tieferen Register mit dramatischerer, rauerer Natürlichkeit, beide kraftvoll ausgewogen, im Angesicht des Märtyrer-Todes in seinem und Gottes Vertrauen auf passendste Weise manifestiert.