Der in Zürich lebende und lehrende Konstantin Scherbakov vollendet demnächst sein Projekt, sämtliche Solowerke für Klavier von Leopold Godowsky aufzunehmen; es fehlen nur noch die bekannten Studien zu Chopins Etüden. Dieses Konzert war eine Gelegenheit, Rückschau zu halten auf die bisher auf CD veröffentlichten Werke, angekündigt unter dem Titel The Pianist's Pianist: Godowsky als exemplarischer Pianist.
Damit spielten die Organisatoren auf Godowskys Rolle als Klaviertechniker an. Weltruhm als Solist mag ihm versagt geblieben sein und von seinen Originalkompositionen hat sich kaum etwas im Konzertleben gehalten, aber er war ein brillanter Pianist, der unerschütterlich daran glaubte, die Technik ließe sich (fast) grenzenlos weiterentwickeln. Die bestehende Literatur genügte ihm dabei als Arbeitsgrundlage nicht, also musste er sich das entsprechende Repertoire selbst schaffen. Er tat dies mit Originalkompositionen, vor allem aber mit Bearbeitungen bestehender Werke, vom Barock bis hin zu Musik seiner Zeitgenossen. Am gelungensten finde ich seine Transkriptionen und Paraphrasen, die den Eindruck erwecken, dass sich Godowskys Fantasie am meisten am Gerüst bestehender Werke entzündet hätte. Bei den Originalwerken scheint er am erfolgreichsten in der Kleinform. In beides, Bearbeitungen fremder Werke und die Kleinform, gab dieses Konzert ausgezeichnete Einblicke.
Scherbakov eröffnete sein Programm mit der Transkription von Bachs zweiter Cellosuite in d-Moll. Was für eine wundersame Wandlung dieses im Original meist einstimmige, relativ spröde Werk bei Godowsky durchmacht! Hier wird die Melodielinie romantisch harmonisiert und harmonisch weitgehend umgedeutet, komplementäre Begleitstimmen dazu erfunden. Die Originalstimme bleibt, abgesehen von Oktavversetzungen, meist erhalten, auch wenn sie sich gelegentlich in der komplexen Polyphonie versteckt. Das Resultat ist von Bach weit entfernt; das wird schon in den einleitenden, pochenden Bassnoten klar, die bei Bach nicht zu finden sind, und endet in den angefügten Akkordkaskaden im großartigen Schluss. Abgesehen von der Harmonik, die an Medtner und Rachmaninow erinnert, sind es vor allem die großen dynamischen Steigerungsbögen, welche die Transkription prägen, und es ist nicht verwunderlich, dass leichte, barocke Tanzsätze bei Godowsky schwerer, manchmal fast schwerfällig wirken. Das Resultat ist interessante, spätromantische Musik mit barocken Anklängen.
Es folgten nach Schubert-Bearbeitungen einige Originalwerke. In den drei Sätzen aus der Java-Suite setzte sich Godowsky mit indonesischer Gamelan-Musik auseinander; die 6 Stücke aus dem Triakontameron sind alle im Dreivierteltakt, oft leicht-beschwingt und heiter (mit Ausnahme des melancholischen, wehmütig-verlorenen Alt Wien), auch lustig oder eher lärmig, dazu ein Salonwalzer.
Technisch zur Sache ging es in den drei letzten Kompositionen des Abends: Das Ständchen, schon bei Richard Strauss ein kleines Meisterwerk, geriet zum Kabinettstück mit viel virtuosem Laufwerk, behielt aber die Strauss'sche Harmonik und Atmosphäre weitgehend bei. Triana von Albéniz ist an sich schon ein virtuoser Prüfstein, hier aber in den Ansprüchen noch deutlich gesteigert und verdichtet. In den symphonischen Metamorphosen über Wein, Weib und Gesang von Johann Strauss Sohn schließlich erlebten wir orchestrale Größe und virtuose Explosionen in einem pianistischen Meisterwerk – Godowsky at his best!