Eine Rolle für praktisch alle Sänger des hauseigenen Ensembles, viel Raum für den ebenso schönstimmigen wie spielfreudigen Chor, eine charmante Inszenierung und die Chefdirigentin am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters: Diese Zutaten sorgten dafür, das Gioachino Rossinis Oper Il viaggio a Reims bei ihrer Grazer Erstaufführung trotz der praktisch nicht vorhandenen Handlung nie langatmig wurde.
Der feinsinnige Humor von Rossinis Partitur wurde an der Oper Graz zur Chefinnen-Sache erklärt und Oksana Lyniv bewies einmal mehr, dass es ein Glück ist, sie hier zu haben. Spritzig und mit flotten Tempi, dabei aber den Sängern noch genug Platz zum Atemholen inmitten den irrwitzigen Rossini’schen Koloraturen lassend, hielt sie die Fäden des Abends zusammen und holte aus dem Orchester eine Spitzenleistung heraus. Auffallend gut aufeinander abgestimmt agierten nämlich Bläser und Streicher, was den Musikern sonst nicht immer so perfekt, wie an diesem Premierenabend, gelingt. Mit viel Gespür für die feine Ironie der Musik, einer Liebe selbst zum kleinsten klanglichen Detail und einer differenzierten Bandbreite an Farben schillerte Rossinis selten gespielte Oper im Graben mindestens genauso, wie es die Inszenierung auf der Bühne tat.
Denn ideal abgestimmt auf den musikalischen Humor arbeitete Bernd Mottls Inszenierung die Schrulligkeit der Reisegesellschaft und ihre nationalen Eigenheiten heraus. Dabei gelang es ihm, den schmalen Grad von parodistisch überspitzt zu lächerlich nicht zu überschreiten. Einige Anspielungen auf den Titel der Oper, etwa das vom Chor zelebrierte Spiel „Reise nach Jerusalem”, oder Symbole und Gegenstände, die für die Länder Europas beziehungsweise deren Klischees charakteristisch sind, baute der Regisseur geschickt ein, ohne allzu plakativ zu werden. Durch die Drehbühne gewann die Handlung an Tempo und große Ensembleszenen wurden klugerweise durch Choreografien vor der Gefahr des starren Rampensingens bewahrt. Das Finale von Rossinis Oper interpretierte Mottl als beherztes Plädoyer für ein vereintes, offenes Europa, was angesichts der aktuellen politischen Situation (und der Tatsache, dass das moderne Publikum zu Karl X., dem der Jubel im Original galt, ohnehin keinen persönlichen Bezug hat) ein gelungener Twist war. Spielfreudig umgesetzt wurden die Regie-Ideen durch ein, beinahe durchwegs, sowohl vokal als auch darstellerisch auf höchstem Niveau agierendes Sängerensemble.
Bei zehn Haupt- und acht Nebenrollen fällt es da nicht immer leicht, den Überblick zu bewahren, durch die präzise Personenregie behielt aber jede Figur auch in den Ensembleszenen ihren ganz eigenen Charakter. Die Rolle der etwas blasierten Griechin Corinna war mit Tetiana Miyus exzellent besetzt. Ihr lyrischer Sopran scheint noch runder geworden zu sein, beeindruckend ist auch stets die traumwandlerische Sicherheit, mit der sie ihre Partien singt. Das glockenklare Timbre verband sich in den beiden Arien mit der Harfe zu einem überirdischen Klang und im Duett mit Pavel Petrovs Cavalier Belfiore zündete sie ein regelrechtes Koloraturfeuerwerk. Die Weiterentwicklung des jungen weißrussischen Tenors gab Anlass zur Freude, denn nicht nur gewinnt sein schmelzendes Timbre zunehmend an Volumen, um problemlos über das Orchester zu kommen, auch die Selbstsicherheit der Darstellung zeigt eine starke Tendenz nach oben. Über einen Traum von einer Bass-Stimme verfügt Peter Kellner, der im pinken Anzug dem Engländer Lord Sidney mit strömenden Phrasen viel Leben einhauchte. Ganz in ihrem komödiantischen Element waren Wilfried Zelinka und Dariusz Perczak als Don Profondo, respektive Barone di Trombonok, die für die meisten Lacher des Abends sorgten und dabei stimmlich das hohe Niveau ihrer Darstellung ebenso halten konnten.