Ein russischer Komponist, der 1914 über Paris nach Kalifornien emigriert, in Hollywood komponiert; der dort eine Serie englischer Stiche über das Schicksal eines liederlichen jungen Manns entdeckt, welcher den Reizen von Reichtum, Sex und Macht erliegt und dadurch seine bürgerliche Existenz verliert; dessen Oper The Rake’s Progress über diesen Stoff 1951 in Venedig uraufgeführt wird, wo der Komponist auch seine letzte Ruhestätte finden wird: mehr Internationalität geht kaum! Und so wundert es nicht, dass Igor Strawinsky für diese einzige abendfüllende Oper wieder zu seinem neoklassizistischen Kompositionsstil findet, eine nahezu italienische Belcanto-Oper komponiert, mit Rezitativen und Arien, geschlossenen Nummern und Chören. Vom dramatischen Ablauf habe er dazu Mozarts Don Giovanni vor Augen gehabt, von der klanglichen Dimension sogar mehr dessen Così fan tutte, so sagte er einmal. Zur venezianischen Uraufführung La carriera di un libertino betitelt, mag Strawinsky bei der Titelfigur mehr ein Freigeist vorgeschwebt haben, sicher ausschweifend, wohl weniger ein Wüstling, wie es in deutscher Übersetzung oft heißt.
Die acht Bilder des englischen Kupferstechers William Hogarth von 1733 wurden Strawinskys Ausgangspunkt: seine Szenen, gewissermaßen komponierte Bilder, sind bis in die symbolträchtigen Namen voller Anspielungen, die die amerikanischen Schriftsteller Wystan Hugh Auden und Chester Simon Kallman in das äußerst poetische Libretto fügten.
Bereits 1953 erlebte die Oper am Gärtnerplatztheater ihre Münchner Erstaufführung. Nun hat der englische Regisseur und Tänzer Adam Cooper eine sehenswerte Neuinszenierung vorgenommen, die im vertrauten England der 80er Jahre spielt, als auf den Straßen von London die Lebensstile von Punks und Mods sowie braven Bürgern und Arbeitern aufeinanderprallten. Irgendwo auf dem Land: die Heimat des Liebespärchen Tom Rakewell und Anne Trulove (nicht zufällig nach True Love klingend!), zwischen Heuballen, großen Scheunentoren und Gitarrenromantik, für die Walter Vogelweider einprägsame Bühnenbilder geschaffen hat, die anfangs Toms biedere Wurzeln hervorheben. Quirliges, tänzerisch gut gelungenes Posing und Flirt dann vor imposanten Leuchtschriften der Kinos und Clubs im einladenden Londoner Nachtleben, erst recht bei verbotenem Kartenspiel oder sündig glitzernden Shows in Mother Gooses Nachtclub in Soho. Alfred Mayerhofer hat das bunte lebenslustige Völkchen in vielerlei Faltenröcke und Zweireiher, Parkas und glitzernden Partyfummel gesteckt: eine herrliche Revue, eben genau wie aus Kellern voller Beat und Rock’n’Roll, Drugs und Tabakrauchschwaden.
Mária Celeng und Gyula Rab sind bereits in der ländlichen Heimat ein sympathisches Pärchen, können aber im ersten Teil des Abends auch nicht für Schwung sorgen, da Rubén Dubrovsky das Orchester des Gärtnerplatztheaters zu sehr in versonnen bukolischem Genießen verharren lässt. Stimmlich gelungen trotzdem das Quartett von Anne, Tom, Vater Trulove und dem geheimnisvollen Fremden Nick Shadow (eine diabolische Figur, später Toms „Schatten“ auf Schritt und Tritt!), der von einer unverhofften Erbschaft schwärmt, die Tom umgehend in London entgegennehmen soll.