Mit ihrer Tradition nehmen es die Bayreuther Festspiele ernst: während der zehnminütigen Ouvertüre zu Richard Wagners Tristan und Isolde bleibt der Vorhang geschlossen, keine Introduktion läuft da über den roten Samt, keine stumme Handlung als Einstimmung. Man kann zur Ruhe kommen bei der wunderbaren Oboenmelodie zu Beginn, sich aufwallen lassen vom weit geschwungenen Crescendo der Streicher, sich versenken in den melancholischen Abgesang des Englischhorns.
Auch im zweiten Jahr dieser Produktion demonstrierte Semyon Bychkov am Pult des fulminant aufspielenden Festspielorchesters, dass „Langsam und schmachtend“ durchaus einen vorwärts drängenden Puls beinhalten kann, sich die chromatischen Melodien in sanglichen Spannungsbögen öffnen. Dass mit beginnender Handlung noch immer keine Übertitelung der Gesangstexte angeboten wird, bemängeln dagegen immer mehr Opernbesucher, da das Textverständnis oft, trotz der bekannt hervorragenden Akustik des Raumes, insbesondere im oberen Teil des Parketts deutlich eingeschränkt ist.
Im zugrunde liegenden Werk des Gottfried von Straßburg, um 1210 entstanden, das offenbar anfangs auch nur den Namen Tristan trug, interessiert den isländischen Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, erstmals am Grünen Hügel tätig, offensichtlich weniger der Einfluss von Wagners Affäre zu Mathilde Wesendonck auf die Oper, dafür mehr die Psyche der getriebenen Titelfigur Tristan. Arnarsson sieht nicht nur eine unglückliche Liebesgeschichte in Wagners Handlung, er hält Tristan für einen Depressiven, der zwischen dem Trauma seiner Herkunft, in der sein Vater im Kampf gegen seinen Lehnsherren getötet wurde und die Mutter bei seiner Geburt starb, und dem späteren Glück, gebildet zum Ritter aufzuwachsen und heldisch Auseinandersetzungen zu bestehen, zerrieben wird. Tristan fühlt sich schuldig am Tod von Mutter und Vater.
In Wagners Version der Geschichte treffen Tristan und Isolde aufeinander, als er, noch unter dem Pseudonym „Tantris“, verwundet hilflos und wenig heldisch von Isoldes Heilkunst abhängig ist und Isolde wiederum nicht mehr nur passiv zur Heirat verplante Braut, sondern aktiv Entscheiderin in machtpolitischem Spiel ist, was Tristan akzeptiert. Beide verstehen einander, fühlen sich vom anderen wirklich erkannt, weshalb Isolde Tristan auch nicht tötet.
Aus dieser Situation heraus braucht es für Arnarsson auch keinen Liebestrank für die beiden Menschen, die sich offensichtlich bereits lieben. Seine latente Todessehnsucht führt Tristan zum Entschluss, das sühnende Gift zu trinken, Isolde zu beweisen, dass er alles zu geben bereit ist; auch ein Eingeständnis seiner Liebe. Im dritten Akt schreibt Tristan „Sterben“ auf seinen Oberarm. Dass Isolde am Ende ebenfalls den Todestrank nimmt, zum gemeinsamen Weg in den Tod, ist die Konsequenz des großen Liebesduetts im zweiten Aufzug.
Vytautas Narbutas’ Bühnenbild gibt dem konzentrierten Blick auf die beiden Charaktere eher zu viel Raum. Im ersten Aufzug deuten nur einige, vom Plafond herunterhängende Taue das Deck des Schiffs an, mit dem Tristan die irische Prinzessin Isolde nach Cornwall bringt, um sie seinem Onkel, König Marke, als Braut zuzuführen. Imposant und durchaus ein Blickfang Isolde inmitten eines riesigen weißen Brautkleides (Kostüme: Sibylle Wallum), dessen gewaltige Schleppe, die mehrere zehn Quadratmeter auf dem Bühnenboden bedeckt, sie bereits metaphorisch mit einer Feder beschrieb und immer weiter mit Gedanken füllt: Worte wie „Verrat“, „Tantris“ oder „Raub“, die zumeist nur in den vorderen Reihen lesbar sind. Fast erscheint diese kreisförmige Kladde wie eine Insel der Erinnerungen, auf die Isolde sich durchgehend zurückziehen kann und auch nur einmal von Tristan suchend betreten wird.