Das 1972 am Konservatorium Prag gegründete Pražák Quartett erfreute sich bis 2010 in der Originalformation einer weltweit erfolgreichen Karriere. Es folgten weitere 5 Jahre mit einem neuen Primarius, der 2015 schließlich durch Jana Vonášková ersetzt wurde. Nach einer zweijährigen Retraite, während der das Kernrepertoire neu erarbeitet wurde, wagt das Ensemble jetzt eine zweite Karriere. In Lugano präsentierte es Frühwerke von Webern und Schönberg, danach ein zentrales Werk des tschechischen Repertoires, das Erste Quartett, „Aus meinem Leben“, von Bedřich Smetana.
Die Integration eines Neumitglieds – zumal an der ersten Violine – in eine Gruppierung von Musikern, die seit über 40 Jahren mit Erfolg zusammengearbeitet haben, ist zweifelsohne problematisch. Bei anderen Ensembles ist der Versuch schon mal schiefgelaufen, hat im Falle des Alban Berg Quartetts sogar zur Auflösung geführt, während andere Formationen den vormaligen Standard nicht mehr erreicht haben. Die längere Retraite ist zumindest ein Hinweis darauf, dass es dem Pražák Quartett ernst ist mit dem Versuch einer zweiten Karriere.
Interessanterweise nahm in der Aufstellung des Quartetts der Bratschist, Josef Klusoň, eine Sonderstellung ein: er saß etwas isoliert rechts außen, oft vom Publikum abgewandt. Er richtete seine Blickkontakte primär auf sein diagonales Gegenüber, den eher introvertiert auftretenden Vlastimil Holek an der zweiten Violine. Das Zentrum des Ensembles gehörte dem raumgreifend-extrovertierten Cellisten Michal Kaňka. Dieser dominierte mit seiner freudig-lebhaften Gestik und Mimik, kommunizierte mit dem ganzen Team, schien gelegentlich gar Selbstgespräche zu führen. Vom freundlichen Gesichtsausdruck der Primaria bekam man im Publikum nur wenig mit, da diese ihre visuelle Interaktion vor allem auf den Cellisten abstellte.
Naturgemäß dominierte häufig die erste Violine, hier dicht gefolgt vom Cello, wobei während des Spielens die Impulse vor allem vom letzteren auszugehen schienen. Der zweite Violinist blieb auch klanglich meist im Hintergrund, und die Viola war in dieser Aufstellung a priori etwas benachteiligt. Erst bei Smetana schienen die Mittelstimmen aufzuleben, formten gemeinsam ein harmonisches Duo in volksnaher Melodik. Die Stärke des Ensembles ist nicht so sehr in klanglicher oder instrumentaler Perfektion, als vielmehr im Atmosphärischen, im Erfassen der Stimmung einer Komposition. Ganz besonders liegt dem Quartett die Musik der tschechischen Nationalkomponisten, in diesem Falle von Bedřich Smetana.
Kommerziell wird dieses Konzert für die Veranstalter kaum ein Erfolg gewesen sein. Gerade mal um die 40 Besucher, deutlich weniger als am Vorabend, fanden sich im kleinen Saal des Teatrostudio ein. Vermutlich, weil in der ersten Hälfte Werke von Exponenten der Zweiten Wiener Schule auf dem Programm standen. Nichts konnte allerdings irriger sein als die Furcht vor Zwölftonmusik: bei den Quartetten von Webern und Schönberg handelt es sich um romantische Frühwerke und puren Wohlklang! Das Ensemble präsentierte den Langsamen Satz von Webern sehr expressiv, mit dichtem, warmem Klang, üppiger Dynamik und etlichen Portamenti, das Vibrato frei schwingend.