Dieses Frühjahr umfasst die österreichische Stadt Linz die Welt. Oder vielmehr Welten: Welten himmlischer Harmonie und Träume charakterisieren die beiden Opern, für die sich das Landestheater rüstet, Paul Hindemiths Die Harmonie der Welt und Michael Obsts Die andere Seite.
Hindemiths Oper, 1930 geplant, aber in den 1950ern komponiert, ist eine Art Gegenstück zu seiner früheren, bekannteren Oper über die Kunst, Mathis der Maler. Beide beschäftigen sich mit einer historischen Figur – dem Astronomen und Mathematiker Johannes Kepler beziehungsweise dem Künstler Mathias Grünewald – deren Arbeit und Glaube die Obrigkeit der Zeit gegen sie aufbrachte, und die für den Komponisten seine eigenen Erfahrungen mit den Nazis versinnbildlichten.
Kepler (1571-1630) ist besonders für seine Gesetze der Planetenbewegung bekannt, für seine Argumente, dass die physische Welt in ihrer Struktur harmonisch ist und dass Gottes Plan für das Universum auf Geometrie beruht. Vor einem Hintergrund religiöser Kriege – der zerstörerische Dreißigjährige Krieg wütete während seiner letzten Lebensjahre – und in einer Welt, in der seine eigene Mutter der Hexerei bezichtigt und vor Gericht gestellt wurde, führte Kepler die zuvor separaten Disziplinen der Physik und der Astronomie zusammen, schätzte die pythagoreische Idee der ‚Harmonie der Sphären’ und legte den Grundstein für Newtons Gravitationsgesetze. Dass Kepler einige seiner bedeutsamsten Jahre in Linz verbrachte, macht die Stadt zum idealen Ort für eine Neubewertung von Hindemiths lange vernachlässigter Opernstudie über die Lebensgeschichte des Wissenschaftlers. Die Harmonie der Welt wurde unter der Leitung des Komponisten 1957 in München uraufgeführt, doch ihre Musik und Ideen schienen den Horizont der versammelten Presse und musikalischen Größen zu übersteigen; nur Hindemiths Symphonie desselben Titels – verfasst 1951, bevor er ernsthaft an der Oper zu arbeiten begann – erreichte etwas, überwiegend dank der anfänglichen Unterstützung von Wilhelm Furtwängler.
Keplers Versuch, den Himmel zu chiffrieren, spiegelte sich gewissermaßen in Hindemiths eigenen musikalischen Theorien, die – weniger formelhaft als die Schönbergs – versuchten, neue Beziehungen zwischen allen 12 Tönen der chromatischen Tonleiter festzulegen. Das Ergebnis in seiner vorletzten Oper könnte als erweiterte Tonalität bezeichnet werden: die Ideen klingen beruhigend bekannt (Hindemith arbeitet sogar Melodien aus Keplers Zeit ein), doch ihre Verwendung erkundet neue Spannungen und harmonische Beziehungen. Während der Großteil der Oper sich in realistischem Fokus mit Kepler und seiner sich verändernden Situation befasst, kulminiert das Werk in einer Szene, in der Keplers Freunde, Feinde und Familienmitglieder nach dem Tod des Wissenschaftlers selbst die himmlischen Wesen in einer dramatischen Apotheose personifizieren, die als Mischung zwischen Fuge und Passacaglia präsentiert wird, einer Exposition der eigenen ‚Harmonie der Welt’ der Musik, die in gleißendem E-Dur endet.