Mit einem Schopf von widerspenstigem silbernem Haar, das über die dünn gerahmte Brille fällt, hat Giovanni Antonini etwas eulenhaftes Erscheinungsbild, das seine offensichtliche Weisheit und seinen breiten Intellekt widerspiegelt. Antonini ist ein Musiker, der sich nicht damit begnügt, sich auf seinen gewaltigen Lorbeeren auszuruhen, sondern einer, der ständig nach neuen Bestätigungsfeldern als barocker Flötist und international angesehener Dirigent sucht. Die jüngste Herausforderung für den Gründer des renommierten Il Giardino Armonico Ensembles – und sein erster Ausflug in die künstlerische Verwaltung - ist die künstlerische Leitung des Wratislavia Cantans Festivals in Breslau, Polen.
Jonathan Sutherland erwischte den Mailänder Maestro im abgelegenen Dorf Schärding in Oberösterreich.
Was hat Sie an der Position des künstlerischen Leiters des Wratislavia Cantans Festivals gereizt?
Wissen Sie, es war eine Art von Abenteuer. Ich bin keiner, der sich darum bemüht, ein Direktor von etwas oder der leitende Dirigent eines Orchesters zu sein. Ich bin allgemein keine institutionelle Person. Im Jahre 2012, als der Generaldirektor des NFM (Narodowe Forum Muzyki – Nationales Musikforum in Breslau) mir die Position anbot, war ich wirklich sehr überrascht. Ich brauchte sechs Monate, um mich zu entscheiden, da künstlerische Leitung war nicht wirklich meiner üblichen Arbeit entspricht und eine ganz andere Verantwortung, als die eines Künstlers beinhaltet. Schließlich stimmte ich zu – wirklich aus Abenteuerlust. Es war auch eine Herausforderung, neues Repertoire zu erkunden, nicht nur für das Festival, sondern auch für mich persönlich. Da das Festival sich nicht auf eine bestimmte Periode spezialisiert hat, hat es mich dazu gebracht, verschiedene Arten von Musik zu studieren. Ich sage nicht, dass ich nichts von anderen Musikarten wusste, aber es bot mir die Gelegenheit, mich mit etwas anderem von meinem eigenen Ensemble auseinanderzusetzen, was eine tolle Erfahrung war.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Planung eines 10-tägigen Festivals?
In jedem Festival braucht man eine Balance in der Programmgestaltung und ein künstlerischer Leiter muss natürlich auch um die Reaktion des Publikums besorgt sein. Balance ist alles. Wir müssen eine Brücke zwischen den Schöpfern des Festivals und des Publikums bauen, aber das bedeutet nicht, dass man nur die Musik präsentiert, die das Publikum mit Sicherheit mögen. Meine Haltung unterscheidet sich von einigen modernen Operndirektoren, die glücklich sind, wenn Leute buhen, weil sie denken, dass das Publikum dumm ist und ihr Genie nicht versteht. Es muss eine Mischung aus "Mainstream"-Musik , aber auch etwas andersartigem oder sogar seltsamem geben, das das Publikum mögen könnte - oder auch nicht.
Ein Drittel der Konzerte auf dem diesjährigen Festival hat einen Bezug zu Monteverdi; sein 450. Geburtstag ist für Sie offensichtlich wichtig. Ist Sir John Eliot Gardiner jemand, dessen Interpretationen von Monteverdis Opern von besonderem Interesse für Sie sind und falls ja, warum?
Gardiner hat seit vielen Jahren an Monteverdi gearbeitet. Seine Berücksichtigung von Stimmen und dem Text ist allgemein bekannt und er hat auch einen besondere Vorlieben bei der Auswahl der Sänger für seine Produktionen. Ich denke, es sei sehr wichtig, auf die Interpretationen des Maestros zu hören, der zur Renaissance dieses Repertoires in so künstlerischer Weise beigetragen hat.
Eines der Ziele des Festivals ist es, die Schönheit der menschlichen Stimme in all ihren Formen und Gestalten zu feiern. Letztes Jahr hatten Sie bulgarischen Gesang und dieses Jahr wird eine sardische Band dabei sein. Ist es ein Ehrgeiz von Ihnen, die Stimme über die üblichen Grenzen des klassischen Repertoires hinaus zu erforschen?
Natürlich ist es unser oberstes Ziel, qualitativ hochwertige Leistungen zu präsentieren und das Wort "klassisch" hat für mich eine sehr weitreichende Bedeutung. Der bulgarische Chor war auch eine Art klassischer Musik, die auf eine sehr einzigartige Weise gesungen wurde. In diesem Jahr werden wir eine interessante Kombination aus traditionellem Singen (The Sardinian Voices) und gleichzeitig auch Renaissance- und zeitgenössischer Musik haben. Das ist ein sehr abenteuerliches Programm, auf das ich mich schon sehr freue.
Werden Sie beim diesjährigen Wratislavia Cantans Festival auftreten?
Ja, ich werde mit Il Giardino die Telemann Brockes-Passion aufführen und werde auch ein kleineres Konzert namens La Morte della Ragione spielen, das sich auf Spätrenaissance und frühbarocke Musik von weniger bekannten Komponisten wie Alexander Agricola, Dario Castello und Gesualdo Da Venosa konzentriert.
Das Wratislavia Cantans Festival existiert seit über 50 Jahren. Wollten Sie einschneidende Veränderungen am Stil des Festivals vornehmen oder wollten Sie es gern in der bisherigen Form weiterführen?
Das Festival fand zum ersten Mal im Jahr 1966 statt; wie Sie sich vorstellen können, befand sich Polen damals in einer ganz anderen politischen und kulturellen Situation. Am Anfang gab es einen sehr viel stärkeren spirituellen-r Aspekt und sogar die Aufführung einer Bach-Passion war nicht so einfach. Das spirituelle Element lebt noch durch Programme wie das Feiern des 500-jährigen Reformationsjubiläums mit dem Vocalconsort Berlin oder das Thema des Stabat Mater, das in der Musikgeschichte von Il Suonar Parlante und Cuncordu de Orosei erforscht wird.