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Nachbarock, Neobarock, Aufgehobener Barock: Marc-André Hamelin im Konzerthaus Berlin

Von , 25 Mai 2022

Marc-André Hamelin gehört zu den besten Klavierspielern der Welt. Doch während seine Kollegen Konzertsäle füllen, spielt er im nicht ausverkauften Kleinen Saal des Berliner Konzerthauses. Wer nicht kam, hat einen großen Konzertabend versäumt.

Hamelin erarbeitet sich immer wieder neues Repertoire, und nun hat er seine Zuneigung zu Carl Philipp Emanuel Bach entdeckt. An diesem Abend spielte er dessen Suite e-Moll, in der noch konventionell die vier Standardtänze verwendet werden. Hamelin läuft der Ruf voraus, technisch so versiert zu sein, dass er solche Stücke mit einer Hand spielen könnte. Doch es gibt anderes für ihn als Virtuosität! In der eröffnenden Allemande war sein behutsamer Umgang beim Pedalgebrauch zu bewundern. Hamelin ließ die Arpeggien perlen und verlebendigte sein Spiel durch feine Synkopierungen. Wenn er in der Sarabande die Stimmen sorgfältig imitatorisch führte, machte seiner Farbgebung deutlich, warum er auf das Cembalo verzichtet, wo derartige Nuancen nicht zu setzen gewesen wären. In den drei Menuetten variierte er die Charaktere: im ersten hob er die markanten Basstöne hervor, im zweiten konturierte er die Klang-Tropfen zart, im dritten betonte er die wiederholten Noten in der rechten Hand über dem durchlaufenden Bass immer anders. Virtuos ließ er in der Gigue die imitierende Invention aufleuchten.

Im Zentrum des Konzerts spielte er seine eigene sechssätzige Suite à l’ancienne von 2020, die nicht mit pianistischen Effekten geizt und die von seiner genauen Kenntnis Chopins, Ravels und Skriabins zeugt. Wie in einer Barocksuite klang die eröffnende Préambule wie eine Improvisation, die aber präzise notiert ist. Schnelle, chromatische Figurationen durchliefen die gesamte Tastatur im manchmal sogar dreifachen Forte. Die Allemande spielte er nach eigener Vorgabe unaufgeregt. In der Courante kombinierte er den barocken Tanz (in der linken Hand liefen die Sechzehntel) mit dem verspielten Scherzo (die rechte Hand begleitete mit springenden Figuren). Im langsamen Air avec agréments (Luft mit Ornamenten) schimmerten die oberen Lagen des Klaviers wie versprenkelt von ornamentalen Schnörkeln in der rechten Hand. Die Gavotte umhüllte anmutig eine Musette, deren offene Bordunquinten eine einfache Melodien grundierte. Alles war im Pedal gehalten, so dass der Klang hypnotisierte. In der Gigue begab sich der Pianist auf eine Achterbahn.

Mit Beethovens Hammerklaviersonate erklang ein Werk, das technisch weniger versierte Pianisten schlicht verzweifeln lässt, wogegen Hamelins Darbietung kaum hörbar machte, welche Zumutungen Beethoven den Pianisten aufgebürdet hat. Hamelin trug das Stück nicht in Beethovens aberwitziger Tempovorschrift vor und stürmte nicht durch den Kopfsatz. Dem Fugato entlockte er tänzerische Töne. während er das Scherzo nicht als Groteske nahm, sondern als Intermezzo und verharmloste so die Wirkung dieses verrückten Stück.

Im Adagio war Hamelin dann aber auf der Höhe und zelebrierte dessen Gesang im Appassionato, der unter seinen Fingern mitunter erstarrte, was zu der großen Wirkung seiner Interpretation beitrug. Das dem Fugenfinale vorangestellte Largo nahm Hamelin als ein zu improvisierendes Präludium, das mit aller Inbrunst in die Fuge einleitete, dessen Thema er kristallin in die Tasten setzte. Das später augmentierte Thema verschaffte sich im Wirbel deutlich Gehör, wogegen er die Krebsform sich fast unbemerkt in die Fuge einschleichen ließ. Einen kurzen Ruhepunkt bildete die D-Dur-Fughetta mit dem zweiten Thema der Fuge, bevor er abschließend die Grundgestalt mit der Umkehrung des ersten Fugenthemas mit fast stoischer Ruhe engführte, bevor sich alle polyphone Kraftanstrengung in Trillern des Themenkopfes in Homophonie auflösten.

****1
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“Hamelin ließ die Arpeggien perlen”
Rezensierte Veranstaltung: Konzerthaus: Kleiner Saal, Berlin, am 22 Mai 2022
Bach C.P.E., Suite in E minor, Wq. 6/12
Hamelin, Suite à l'ancienne
Beethoven, Klaviersonate Nr. 29 in B-Dur "Hammerklavier", Op.106
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