Ein gewagtes, wenn nicht gar eigentümliches Unterfangen, Mahlers Rückert-Lieder zwischen zwei späte Mozart-Symphonien zu schieben. Vielleicht eine Folge des Zusammentreffens von Christian Gerhaher mit Bernard Haitinks diesjährigem Repertoireschwerpunkt mit dem Chamber Orchestra of Europe? Mozarts Prager Symphonie nach der Fin de Siècle-Atmosphäre in Mahlers Liedern? Letztlich aber erwiesen sich alle Bedenken als gegenstandslos.
Es war ein pures Vergnügen, die Zusammenarbeit des COE mit ihrem Ehrendirigenten zu verfolgen. Nicht nur das gemeinsame Wirken war beglückend, das Engagement im Ensemble war an sich schon bemerkenswert. Eine Aufführung mit Haitink findet jenseits der Diskussion um historisch „korrektes" Musizieren statt. Mit 88 kann der Dirigent das Missionieren, die immerwährende Suche nach dem (stets elusiven) Originalklang getrost anderen überlassen. Das heißt natürlich nicht, dass der Maestro neuere Erkenntnisse ignoriert. Das Orchester mit modernem Instrumentarium ist so aufgestellt wie in der Klassik und Romantik üblich, die Artikulation ist leicht, die dynamischen Konturen klar, der Ansatz fast kammermusikalisch. Dirigent und Ensemble verstehen sich bestens. Haitink führt mit sparsamen, ökonomischen Bewegungen, aber dennoch präzise und klar, rechts der Dirigierstab, die Linke formt Dynamik und Phrasierung. Fraglos kann sich der Altmeister auf die aktive, stets aufmerksame Unterstützung durch die Konzertmeisterin, Lorenza Borrani, verlassen.
Von Anfang bis Ende herrschte apollinische Klarheit, Luzidität. Bei Mozart dominierten die Streicher, die Bläser gaben extra Farbe. Artikulation war eine Selbstverständlichkeit, die nicht bewusst wahrgenommen wird. Haitink meidet alles Schwerfällige, seine Tempi sind schlank, flüssig, natürlich, allenfalls eher auf der raschen Seite. Ohnehin war Bombastik an diesem Abend fehl am Platz, es dominierten die leisen Töne, das Subtile, die dynamischen Schattierungen von p bis f – mehr hat Mozart nicht vorgesehen – und die Agogik blieb unauffällig und übermäßige Verbreiterungen am Schluss unterblieben. Im Eingangssatz der Haffner-Sinfonie hat Mozart zwar die Repetition der Exposition im Autograph gestrichen – der Dirigent ließ trotzdem wiederholen, was bei seinem flüssigen Zeitmaß durchaus angebracht war. Auch das Andante des zweiten Satzes nahm Haitink scheinbar rasch, allerdings goldrichtig: die Melodie verleitet zu 4/8-Spielweise, doch ist der Satz als 2/4 notiert. Bemerkenswert, wie sauber und präzise die zweiten Violinen und die Violen die raschen Zweiunddreissigstel-Passagen selbst im feinsten p artikulierten. Noch anspruchsvoller dann das Finale: sportlich-virtuos, gar an der Grenze dessen, was das Orchester zu leisten vermag. Allerdings handelt es sich um ein Presto in alla breve-Notation, Haitink weiß also die Notation auf seiner Seite, und so reizte er die Möglichkeiten aus. Die Artikulation blieb gerade noch klar, aber eine differenzierte Gestaltung im Bereich der Motive war so kaum noch möglich.