Trug der Komponist des fernen Klanges auch den Namen Schreker, schrecken musste sich das Publikum angesichts der ersten Premiere in der Saison 2015/16 im Grazer Opernhaus wirklich nicht. Dafür durfte man neugierig sein, war doch Franz Schrekers Oper Der ferne Klang seit der österreichischen Erstaufführung 1924 nicht mehr in Graz zu sehen gewesen. Zunächst höchst erfolgreich, wurde das Werk in der Zeit des Nationalsozialismus als entartet gebrandmarkt und verboten; erst seit einigen Jahren erfahren die Werke des österreichischen Komponisten nun wieder mehr Aufmerksamkeit.
Die mutige Entscheidung von Nora Schmid, ihre Intendanz mit einem selten gespielten Werk und nicht mit einem sicheren Publikumsmagneten zu eröffnen, erwies sich als goldrichtig: Die Geschichte des Komponisten Fritz, der seine Jugendliebe Grete zurücklässt, um den perfekten Klang in der Ferne zu suchen, hat einerseits eine überaus tragische Handlung zu bieten, die mit sozialem Abstieg, unerfüllter Liebe, Missverständnissen zwischen den Charakteren und letztendlich dem Tod des Helden aufwartet. Andererseits sind die Schicksale der Figuren in hypnotische Musik gebettet, deren Verklanglichung bei Dirk Kaftan am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters in besten Händen lag.
Er verband die verschiedenen Klangstränge zu einem enorm farbenreichen, differenzierten, immer wieder glitzernd-hypnotisch wirkenden Ganzen, das den Zuhörer unweigerlich in seinen Bann zog. Wunderschön melancholisch fielen vor allem immer wieder die Harfen auf, überhaupt schien das gesamte Orchester nicht nur bestens disponiert sondern auch mit besonders viel Enthusiasmus bei der Sache zu sein, sodass eine ganz spezielle Energie förmlich im Raum spürbar wurde. Eindrucksvoll umhüllt von schwebendem Klang wurde man am Beginn des zweiten Akts, als zusätzlich ein Teil des Orchesters von der Galerie aus zu hören war, Musiker auf und hinter der Bühne spielten und der Chor in den Proszeniumslogen sang. Eigentlich wären hier absolut keine Wünsche offen geblieben, hätten nicht die Lautstärke und die Wucht der Musik stellenweise einige der Solisten verschluckt.
Die einzige, die selbst dann noch mühelos mithielt, wenn Dirk Kaftan das Orchester zu monumental schwelgenden Passagen anhielt, war Johanni van Oostrum als Grete. Mit klarem Sopran kostete sie die gesamte dynamische Bandbreite der Rolle aus und konnte selbst dann noch mit strahlenden, wohlklingenden und völlig unforcierten Höhen beeindrucken, wenn sie sich gegen die Klangwogen aus dem Orchestergraben durchsetzen musste. Gleichzeitig vermittelte sie die Wandlung beziehungsweise. den Abstieg von der unschuldigen Grete über die depressive Edelkurtisane Greta bis hin zur gefallenen Straßendirne mit emotionsgeladener Stimme, einer facettenreichen schauspielerischen Leistung und vollem Einsatz (etwa kopfüber von einer Poledance-Stange hängend!) für die Rolle.