Dass aus einer „kleinen Idee“ ein solch spannendes und klug durchdachtes Konzertprogramm werden würde, hätte sich Daniel Raiskin, Chefdirigent des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie, wohl anfangs auch nicht träumen lassen. Bestens gelaunt betrat Raiskin den Festsaal des BASF-Feierabendhauses und berichtete von dem Song „Tea for Two“, den er auf einer CD der niederländischen Jazzsängerin Fay Claassen gehört hatte. In ihrer Einspielung gemeinsam mit der WDR Big Band verpasste Claassen dem Broadway-Klassiker aus dem Musical No, No Nanette von Vincent Youmans eine Frischzellenkur im Klanggewand des Modern Jazz. Raiskin, klassischer Musiker und aufgewachsen in einem Elternhaus, in dem unter anderem der Komponist Dmitri Schostakowitsch regelmäßig ein und aus ging, erinnerte sich sofort an eine witzige Anekdote über den Komponisten im Zusammenhang mit „Tea for Two“. Anlässlich einer Wette mit dem Dirigenten Nikolai Malko arrangierte Schostakowitsch den Song in weniger als einer Stunde für Orchester und gab ihm dann den Titel „Tahiti Trot“. In dieser Blitzarbeit zeigt sich der Komponist fasziniert vom neuen Sound der „Roaring Twenties“, dem Jazz, der damals aus den USA nach Europa herüberschwappte.
Genau um die musikalische Schnittstelle zwischen komponierter Musik und Jazz ging es in dem Konzert im BASF-Feierabendhaus, welches im Rahmen des Enjoy Jazz-Festivals mit seinen unterschiedlichen Auftrittsorten in der Metropolregion Rhein-Neckar stattfand. Rund um die beiden Versionen von „Tea for Two“, Schostakowitschs Liaison mit dem Jazz und Claassens moderner Interpretation in einem Arrangement von Michael Abene, bastelten Raiskin und Claassen ein Konzertprogramm, das zu einer gelungen Begegnung beider musikalischer Welten abseits aller Crossover-Klischees wurde.
Allein schon der Orchesteraufbau auf der Bühne beeindruckte. Im hinteren Teil positionierten sich die Big Band-Musiker des Rhine Phillis Orchestra, sozusagen die Jazzabteilung der Rheinischen Philharmonie. Davor nahmen die Mitglieder des Staatsorchesters Platz. Mit diesem Klangmonstrum im Rücken entführten Raiskin und Claassen die Zuhörer auf eine Reise „roundabout Schostakowitsch“ mit seinen zwei Suiten für Jazzorchester, und hielten ebenso „echte“ Jazz-Klassiker in ungewöhnlichen neuen Arrangements bereit.
Schostakowitschs zwei in den 1930er Jahren entstandene Suiten klingen freilich eher nach Salon- oder Unterhaltungsmusik als nach Jazz und sind eines der vielen Beispiele für das damals in ganz Europa verbreitete musikalische Missverständnis über die Musik aus der Neuen Welt. Unabhängig von der Authentizitätsfrage besticht Schostakowitschs „Pseudo-Jazz“ vor allem durch die fantasievolle Instrumentierung (z. B. Saxophon, Banjo, Hawaii-Gitarre). Raiskin vermied konsequent die Betonung des Sentimentalen der oft melancholisch gestimmten Suitensätze, wie etwa in dem berühmten Walzer Nr. 2 aus der zweiten Suite. Mit Verve animierte er die Musiker vielmehr zu einer anti-romantischen, humoristischen Lesart: Extreme Dynamik, eher schnellere Tempi und eine präzise Artikulation trafen den trockenen, durchaus mit Ironie gewürzten Ton der Neuen Sachlichkeit jener Zeit sehr genau.