Man soll den Ring nicht vor dem Siegfried loben, oder so ähnlich war es in Kritiken über die Götterdämmerung zu lesen. Das Ende von Stefan Herheims Tetralogie an der Deutschen Oper Berlin durfte man unlängst erleben, doch die Erkenntnis, ob der dritte Teil nun des Pudels Kern enthüllen würde, blieb dem Publikum beim Anblick des finalen Parts noch verwehrt. Nun schließt sich endlich der Kreis dieses Rings, dem pandemiegeplagt einige Steine in den Weg gelegt wurden.
Während Stefan Herheim im Rheingold den spielerischen Aspekt des Werks betont hat, wird im Siegfried das Lachen zum Schlüsselelement. „Drei Dutzend Mal allein im Siegfried“, verrät das Programmheft, wird hier gelacht und tatsächlich avancierte Herheims Lesart dieser Oper zur komischsten seiner vier Teile.
Siegfried, das Fürchten noch nicht gelernt, kann zumindest schon lachen und Objekt seiner verhöhnenden Witze ist meist Mime, der als Wagner verkleidet den treusorgenden Vater mimt – das heißt nur spielt. Und darin liegt auch schon der Schlüssel zu einem der Interpretationsansätze. Die Doppelbödigkeit der Beziehung zwischen Mime/Wagner und Siegfried im Ring bzw. Wagners eigener Sohn, der den gleichen Namen trägt, wird immer wieder in den Vordergrund gerückt und ergibt beim Zuhören immer wieder aufschlussreiche und komische Parallelen preis, in diesem Ring, in dem alles nur ein Spiel – Theater auf dem Theater – zu sein scheint.
Mimes/Wagners höchstes Ziel ist es, das Schwert zu schmieden, um den Wurm zu fällen, doch erst durch Siegfrieds unbedarfte Art und die Hilfe des Wanderers wird klar, dass er das zerbrochene Schwert ganz einschmelzen muss. Wie Torsten Meiwald in seinen Randbemerkungen zum Ring bildhaft erläutert, wird das Schmieden des Schwertes gleichnishaft für das Entstehen des Rings selbst. Wie Siegfried die Stücke des Schwertes in die kleinsten Einzelteile zerfeilt, um daraus Nothung zu schmieden und weltverändernde Taten zu vollbringen, hat es auch Wagner als einziger geschafft, die vielen alten Sagen und Überlieferungen zu verschmelzen, um aus ihnen etwas ganz neues zu schaffen – einen Mythos, der seinen Ruhm endgültig gefestigt hat.
Doch auch die Homosexualität Siegfried Wagners wird thematisiert und kommt zu der ohnehin schon inzestuös geprägten Personenregie, das hier aus der Walküre fortgeführt wird, hinzu, was keine abwegige Idee ist, da der Ring des Nibelungen nur so von tabuisierten Beziehungen, verworrenen Verwandtschaftsverhältnissen und ödipalen Prägungen strotzt. „Wie mahnt mich wonnig sein Bild“, singt Siegfried als er Brünnhilde erblickt (noch denkt er, der Schlafende sei ein Mann) und es ist diese mal mehr, mal weniger subtile Homoerotik, die Herheim immer wieder aufgreift und in den Fokus stellt. Herheims Lesart wirkt hier jedoch überraschend naiv, geradezu vorurteilsfrei, wie sie aus einer der Kernthemen des Rings – der Freiheit aller handelnden Personen – erwächst.
Siegfried ist jedoch nicht nur ein „dummes Kind“, sondern vor allem ein junger Mann voller Wut, Mut und Übermut. Mit unbändigem Drang, die Welt abseits des Waldes zu erkunden, ist seine Charakterzeichnung weniger witzig als schon verzweifelt. Er weiß nicht so recht, wohin mit seiner überschüssigen Energie, sodass er fast den Waldvogel erwürgt. Clay Hilley stellte dies mit breitgefächerter Charakterisierung und nahezu kontinuierlich kraftvoller Tenorstimme dar und wurde zu einem überzeugenden Siegfried – besonders im Hinblick auf Herheims Inszenierung.