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A Single Man: Tannhäuser an der Oper Frankfurt

Von , 02 Juni 2024

Schon die ersten Bilder im Vorspiel des neuen Tannhäuser an der Oper Frankfurt lassen sehr ideenreich und symbolträchtig auf die kommenden viereinhalb Stunden schließen; schnell ist klar, diese Produktion von Matthew Wild ist etwas ganz Besonderes. Tannhäuser hat sich in seinem Venusberg, hier ein im Mid-century modern-Design gestaltetes kastenförmiges Hotelzimmer, dass verdreifacht zu einem Triptychon seiner libidinösen Qualen und Wahnvorstellungen wird, zurückgezogen, um sich im alkoholisierten Rausch, befeuert von der Bacchanalsmusik (hier aus seinem Plattenspieler), ganz seiner Trance und seinen Halluzinationen hinzugeben.

Dshamilja Kaiser (Venus), Domen Križaj (Wolfram), Marco Jentzsch (Tannhäuser), Henri Klein (Student)
© Barbara Aumüller

Dieser selbstdestruktive künstlerische Schaffensprozess, begleitet von deutlich bebilderter Kastrationsangst, seiner Faszination von adonisgleichen Jünglingen, einem wie von Caravaggio gemalten Bacchus, der Erscheinung des heiligen Sebastian (dem Schutzpatron der Sterbenden) und nicht zuletzt dem Auftritt der Venus, seinem persönlichen Todesengel, der wie es Angela Carter einst treffend beschrieb, eine Frau, die sowohl der Tod als auch das Mädchen ist. All diese Bilder belegen die Nähe zwischen Eros und Thanatos und geben ebenso treffende wie packende Eindrücke in die Psyche des Protagonisten.

Henri Klein (Ein junger Student), Marco Jentzsch (Tannhäuser) und Dshamilja Kaiser (Venus)
© Barbara Aumüller

Tannhäuser wird hier dargestellt als der fiktive, vor der NS-Verfolgung geflohene deutsche Schriftsteller Heinrich von Ofterdingen, der in den USA Fuß fasst und dort eine steile Karriere hinlegt, bis hin zur Auszeichnung mit dem Pulitzer-Preis. Dieses Schicksal erinnert nur allzu schmerzlich an jene von Thomas Mann oder Christopher Isherwood, die beide Deutschland verlassen mussten. Die Produktion orientiert sich ästhetisch und inhaltlich daher durchaus an Manns Tod in Venedig und Isherwoods A Single Man.

Christina Nilsson (Elisabeth)
© Barbara Aumüller

Nach dem Aufstieg Tannhäusers/von Ofterdingens kommt jedoch der Fall, welcher den Ausgangspunkt der Oper darstellt. Es ist das Jahr 1961, eine Zeit, die nicht unerheblich für das Verständnis von Matthew Wilds Lesart ist, denn auch über zehn Jahre nach der McCarthy-Ära, die nicht nur für ihre Verfolgung von Kommunisten, sondern auch Schwulen und Lesben bekannt war, ziehen sich die Spannungen und Vorurteile weiter durch alle Bevölkerungsschichten – besonders auch in den akademischen und streng katholischen Kreisen, wie von Wilds Regie dargestellt. Erst ab 1962 begannen die ersten US-Bundesstaaten gleichgeschlechtliche Beziehungen zu entkriminalisieren und so fügt sich das Geschehen der Oper in diese historischen Gegebenheiten ein.

Marco Jentzsch (Tannhäuser) und Henri Klein (Ein junger Student)
© Barbara Aumüller

Gleichzeitig ist Heinrich von Ofterdingen kein Konstrukt aus Wilds Imagination. Er stützt hiermit die These des Historikers C. T. L. Lucas, dass Tannhäuser und der spätmittelalterliche Minnesänger von Ofterdingen ein und die selbe Person seien – eine These die ebenso von Richard Wagner unterstützt wurde.

All dies mag überaus kompliziert und konstruiert klingen, dennoch schmiegen sich die vielen Details der Oper wie ein Schuh an, der perfekt passt. Geradezu mühelos und mit dramaturgischer Präzision geht die Idee auf – das detailreiche und vortrefflich recherchierte Regiekonzept ist der Produktion deutlich anzumerken und statt des Konflikts zwischen sinnlicher und geistiger Liebe wird die queere Rezeptionsgeschichte des Tannhäuser in den Mittelpunkt gestellt. Schließlich gehörte sie zu den Lieblingsopern einiger (wenn auch teils geheim) homosexueller Männer, wie Oscar Wilde oder Ludwig II. von Bayern, die im Helden dieser Oper eine starke Identifikationsfigur sahen.

Andreas Bauer Kanabas (Hermann, Landgraf von Thüringen) und Christina Nilsson (Elisabeth)
© Barbara Aumüller

Nach einem Skandal im Hörsaal, bei einer Veranstaltung, die von Ofterdingen eigentlich rehabilitieren sollte, begeht dieser eine Art Sündenfall und gibt seinen Trieben nach, küsst einen jungen Studenten, und wird so vollends zum Ausgestoßenen. Diese Grenzüberschreitung kann nicht gesühnt werden, die Studierenden reißen die Seiten aus seinen Büchern und werfen sie ihm vor die Füße.

Letztlich ist dieser Tannhäuser ein Künstler, der an seinen von der Gesellschaft nicht akzeptierten Neigungen zugrunde geht – nicht frei sein, nicht er selbst sein zu können, bedeutet seinen Untergang. Regisseur Wild zeigt Tannhäuser als einen komplexen, tragischen, aber auch problematischen Charakter, der mit sich selbst ringt, daran Zugrunde geht, sodass sein Werk nur durch Elisabeth vollendet werden kann.

Marco Jentzsch vermochte Tannhäusers Zerrissenheit und die Komplexität seines Leidens szenisch überaus glaubwürdig darzustellen. Er zeichnete die Figur als einen vielschichtigen Charakter, in sich gebrochen, fehlbar, aber immer zum Guten strebend. Jentzsch meisterte die Partie mittels seiner besonders in den Höhen und in der Mittellage stark gefestigten Tenorstimme bravourös und mit einer unverkennbaren Souveränität und Selbstsicherheit. Christina Nilsson stand ihm in der Partie der Elisabeth mit kraftvoll klarer und über hohe Stahlkraft verfügende Sopranstimme zu Seite.

Tannhäuser
© Barbara Aumüller

Die Venus von Dshamilja Kaiser überzeugte mit ihrer einnehmenden, warmen Mezzostimme, welche sie mit gekonnt vollmundig sinnlich-erotischen Klangfarben ausfüllte. In der Partie des Wolfram von Eschenbach begeisterte Domen Križaj mit profundem, samtenen Bariton, rührender Phrasierung und mustergültigem Textverständnis. Andreas Bauer Kanabas gestaltete als Bilderbuch-Wagnerbass einen Landgraf Hermann mit voluminöser Stimme gepaart mit perfekter Diktion. Auch die kleineren Rollen waren vortrefflich besetzt, beispielsweise der klangschöne Walther von der Vogelweide von Magnus Dietrich und der junge Hirt, mit dem strahlend-enigmatischen Sopran von Karolina Bengtsson verkörpert. Der Chor unter Leitung Tilman Michaels war absolut überragend und glänzte besonders zum Schluss mit überwältigender Durchschlagskraft.

Marco Jentzsch (Tannhäuser) und Dshamilja Kaiser (Venus)
© Barbara Aumüller

Als Kapellmeister der Staatsoper Berlin erlernte Thomas Guggeis sein Handwerk in Zusammenarbeit mit Wagnerlegenden wie Daniel Barenboim und Christian Thielemann. Dieser musikalisch beeindruckende Tannhäuser war Guggeis’ erstes Wagnerdirigat als neuer GMD der Oper Frankfurt. Er leitete das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit detailverliebter Präzision in lebhaften Tempi und mit deutlich hörbarer Transparenz, welche nie die Sänger*innen überdeckte. Ohne Scheu vor kammermusikalischer Interpretationen im Wechsel zu großen orchestralen Ausbrüchen erzeugte Guggeis ein abwechslungsreiches, zugleich fixiertes und mit klarer Vision geprägtes Wagnerdirigat allererster Güte.

Unter der szenischen Kongenialität des Regisseurs Matthew Wild und der musikalischen Leitung von Thomas Guggeis erreichte diese Aufführung das stets antizipierte – doch nur selten erreichte – Opernideal des Gesamtkunstwerks im Sinne Richard Wagners.

*****
Über unsere Stern-Bewertung
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“schnell ist klar, diese Produktion von Matthew Wild ist etwas ganz Besonderes”
Rezensierte Veranstaltung: Oper Frankfurt, Frankfurt am Main, am 30 Mai 2024
Wagner, Tannhäuser
Oper Frankfurt
Thomas Guggeis, Musikalische Leitung
Matthew Wild, Regie
Herbert Murauer, Bühnenbild
Raphaela Rose, Kostüme
Jan Hartmann, Licht
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Frankfurter Opernchor
Maximilian Enderle, Dramaturgie
Christina Nilsson, Elisabeth
Dshamilja Kaiser, Venus
Marco Jentzsch, Tannhäuser
Domen Križaj, Wolfram von Eschenbach
Karolina Bengtsson, Shepherd Boy
Michael Porter, Heinrich der Schreiber
Magnus Dietrich, Walther von der Vogelweide
Erik Van Heyningen, Biterolf
Andreas Bauer Kanabas, Landgraf Hermann
Magnús Baldvinsson, Reinmar von Zweter
Tilman Michael, Chorleitung
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