Russisches Repertoire, russische Interpreten: beim Lucerne Festival präsentierte Yuri Temirkanov mit seinem Orchester, den St. Petersburger Philharmonikern, ein Programm von Rimsky-Korsakow, über das Zweite Klavierkonzert von Rachmaninow, mit Sergej Redkin als Solist, bis hin zu Tschaikowskys Ballettmusik Der Nussknacker, aus der Temirkanov eine Suite aus Stücken aus dem zweiten Akt zusammengestellt hatte.
Sie kommen nicht jedes Jahr nach Luzern, die St. Petersburger Philharmoniker: immerhin das älteste Orchester Russlands, gegründet 1882, und seit 1992 unter der Leitung von Yuri Temirkanov, der heuer seinen 80. Geburtstag feiern wird. Es ist ein respektabler Klangkörper, der sich im KKL in antiphonaler Aufstellung präsentierte, die 10 Kontrabässe links hinter den ersten Violinen, rechts anschließend die Celli und die Bratschen. Eine Konfiguration, die akustisch deutliche Vorteile bietet, jedoch keine Erleichterung für die Koordination innerhalb des Orchesters (konkret: zwischen den beiden Violinstimmen) darstellt.
Temirkanov eröffnete mit Die drei Wunder, der Einleitung zur Schlussszene des vierten Aktes von Rimsky-Korsakovs Oper Das Märchen vom Zaren Saltan. Mit seinem Trompetensignal zu Beginn war dies der ideale Einstieg ins Konzert. Temirkanov dirigierte mit runden, sparsamen Bewegungen, später auch mit größeren Gesten, sich ganz auf die Fähigkeiten, die Routine des Orchesters verlassend. Es war erstaunlich, wie gut das Zusammenspiel im Orchester klappte, waren doch die Taktschwerpunkte aus den Bewegungen des Dirigenten nur zu erahnen. Interessanterweise bedurfte es dabei trotzdem nicht auffälliger Interventionen des Konzertmeisters. Die Interpretation fokussierte nicht auf ultrascharfe Perfektion, schien kaum auf Show-Effekte abzuzielen, eher auf Phrasen und Bögen. Abgesehen von einem kleinen, vorzeitigen Einsatz in der ersten Generalpause und geringfügigen, anfänglichen Intonationstrübungen bei den Trompeten, war es in der Tat eine eindrucksvolle Klangdemonstration.
Im Zweiten Klavierkonzert von Rachmaninow nahm Sergej Redkin das Pianissimo der Einleitung notengetreu, baute rasch zum Fortissimo auf, verfiel danach in breit artikuliertes, rhapsodisches Spiel, um beim Un poco più mosso wie eine Rakete abzuheben, was das „Un poco” wie eine Karikatur (oder Ironie?) erscheinen ließ. Mit dem Fortschreiten der Musik wechselte Redkin zwischen lyrisch-elegischem Ausdruck – wobei er nie in romantische Süße verfiel – und rhapsodisch fließendem Spiel. Er vermied dabei Härten und übermäßiges Hämmern, und sein flüssiges Legato ließ die immensen Anforderungen in Rachmaninows Klaviersatz wie nebensächliches Beiwerk erscheinen. Man wurde als Zuhörer kaum gewahr, dass das Tempo an der Grenze des Machbaren lag. Generell aber war es eine Interpretation, die Wert auf die Gestaltung großer Bögen und Phrasen legte, und die auch den Nebenstimmen im Solopart zu ihrer berechtigten Rolle verhalf. Sie war nicht auf Bravour und Show ausgelegt, sondern auf Ausdruck. Ein kleiner Makel war, dass der Solopart gelegentlich vom Orchester beinahe zugedeckt wurde.