Es dürfte eines der anschaulichsten Oratorien der Musikgeschichte sein, und das nicht zuletzt durch den Text, den Gottfried van Swieten für Joseph Haydn schrieb: Nicht um biblische Inhalte geht es in dessen Vier Jahreszeiten, sondern um das alltägliche Leben der Menschen. So schildert van Swieten die Winterstürme mit ihrem Geheul, das Pflügen der Felder, die springenden Lämmer und das Gewimmel der Fische. Und Haydn griff das alles minutiös auf, ließ die Lämmer musikalisch hüpfen, die Bienen summen und den Ackersmann – mit dem Rhythmus und den Klangfarben ganz dem Text folgend – lange Furchen ziehen.
Doch Haydn war eben auch der große Sinfoniker, ein Klangmagier sondergleichen, und so stellte er diesen Naturbildern atmosphärische Sequenzen gegenüber: die schon bei Vivaldi in dessen Vier Jahreszeiten erdrückende Sommerhitze und die alles in Erstarrung versetzende Kälte des Winters.
Genau diese Mischung von konkreter Alltagsschilderung und stimmungsvoller Atmosphärensymbolik war es wohl, die Martin Schläpfer dazu verführt hat, dieses Oratorium auf die Ballettbühne zu bringen. Wenn zu Beginn Haydn musikalisch schildert, wie der Winter langsam dem Frühling weicht, dann bibbern bei Schläpfer die Tänzer auf der Bühne. Was dann folgt, ist eine eher abstrakte Umsetzung des langsam erwachenden Lebens, eine Kombination von fast pantomimischer Situationsbeschreibung und metaphorischem Stimmungsausdruck, die das Stück bestimmt.
So lagern die Körper der Tänzer zu Beginn des Sommers schläfrig und fast reglos am Boden, zu Beginn des Winters dehnen sich die Bewegungen der Arme und Beine, als wollten die Muskeln nur unwillig dem Bewegungsimpuls folgen. Doch dann wieder greift Schläpfer exakt auf, was der Text vorgibt: Da hüpfen drei Tänzer über die Bühne in Andeutung der springenden Lämmer im Gesang; wenn die Arbeit am Spinnrad erwähnt wird, tritt eine Tänzerin andeutungsweise das Pedal mit dem Fuß, um das Gerät in Gang zu bringen, und wenn vom Tod die Rede ist, legt sich ein Tänzer auf den Boden. Das kann bis an die Grenze des Erträglichen gehen und könnte als Parodie gedeutet werden, doch scheint nicht Schläpfers Intention. Er spielt nicht ironisch mit Elementen des Handlungsballetts, er bedient sich ihrer in Andeutungen, die bis zur platten Illustration des Alltäglichen reichen. Dazwischen stellt er zu längeren Gesangspassagen lediglich ästhetische, wenn auch gelegentlich hochgradig komplexe Bewegungsabläufe. Nicht immer weiß man, warum sich zur Musik ausgerechnet dieser Tanz gesellt. Pflügt der Ackersmann seine Furchen, vollführen Tänzerinnen ausgelassene Hüpfer als Ausdruck der frohen Stimmung dieses Landmanns. Das Resultat ist ein Füllhorn an choreographischen Einfällen, die wie kleine Miniaturen aufeinander folgen. Was ausbleibt, ist eine Linie, ein roter Faden. Das Ganze gleicht eher einer Revue aus lauter äußerst abwechslungsreichen tänzerischen Gedanken.