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Der Kraftstrotz: Andreas Schager als Siegfried an der Wiener Staatsoper

Von , 30 Juni 2025

In Wien liebt man Wagners Ring – und zwar ziemlich unabhängig davon, ob das Gebotene großartig oder nur gutes Mittelmaß ist (unter dieser Qualitätsstufe ist dieses Werk hier nicht zu haben, soviel Patriotismus muss sein). Das gilt konsequenterweise auch für die einzelnen Teile der Tetralogie, wobei vom zweiten und letzten Siegfried dieser Saison an der Wiener Staatsoper positive wie negative Überraschungen zu berichten sind.

Andreas Schager (Siegfried)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Es war ein Opernabend, der von zwei Kräften getrieben war: Auf der einen Seite Philippe Jordan am Pult des Wiener Staatsopernorchesters, der mit seinem fein ausbalancierten und noblen Dirigat gefiel, auf der anderen Andreas Schager, der als fast schon übermotivierter Titelheld mit schweren Geschützen auffuhr.

Natürlich ist man von Schagers berühmter Durchschlags- und Durchhaltekraft beeindruckt, und zunächst im Schmiedelied sogar begeistert, doch gab dieser Siegfried öfters zu viel des Guten – an vielen Stellen hätte weit weniger Lautstärke immer noch gereicht, und eine differenziertere musikalischen Gestaltung in der Art seines hervorragenden Tristan erlaubt. Doch sogar im dritten Aufzug, wo andere ihre liebe Not haben, dem dramatischen Sopran der ausgeschlafenen Brünnhilde adäquat zu begegnen, schlug der vokale Hammer auch dann noch noch zu, wo man ein Zauberschwert bevorzugt hätte.

Michael Laurenz (Mime) und Iain Paterson (Der Wanderer)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Immerhin wird so noch deutlicher als sonst, warum Brünnhilde den Schritt von der Walküre zur Frau noch scheut. Darstellerisch geht es der Lokalmatador geradezu lausbubenartig an und gewinnt damit die Sympathie des Publikums. Das ist nach Christian Thielemann, der Siegfried „operettige“ Musik attestiert, zu Beginn auch passend, aber auch hier gilt Ähnliches wie für die Stimmkraft: Man sollte es mit dem Lausbuben nicht übertreiben, denn sonst bleibt die Entwicklung vom Rohling in Mimes Schmiede bis hin zum auserwählten Helden, der Brünnhilde wecken darf, ein wenig auf der Strecke.

Vom gegenteiligen Problem hinsichtlich der Stimmkraft war Iain Patersons Wanderer geplagt, der vor dem zweiten Aufzug mit einem akuten Allergieschub angesagt wurde. Eine kritische Einschätzung der Gesangsleistung erübrigt sich damit, doch war er schauspielerisch sehr präsent. Das Staatsopernorchester schenkte ihm zudem einen starken musikalischen Abgang nach der Wissensfrage im ersten Aufzug – so wirkmächtig ist dieser Teil selten zu erleben, auch wenn es dieser Oper an dramatischen Stellen und stupenden Effekten nicht fehlt.

Anja Kampe (Brünnhilde) und Andreas Schager (Siegfried)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Michael Laurenz begeisterte als Matteo in Arabella, und auch Mime gelingt ihm zumindest darstellerisch bestens. Sein Charaktertenor überzeugt vor allem in der Höhe, die Auseinandersetzungen mit Siegfried und das Zwergengezänk mit Alberich könnten aber noch mehr Substanz in der mittleren Lage vertragen. Als sein Bühnenbruder Alberich liefert Jochen Schmeckenbecher eine ansprechende Leistung, auch wenn der Zorn, der an Alberich nagt, teilweise zu harmlos gerät – die Demütigung durch den Verlust des Rings an Wotan im Rheingold ist ja die Triebfeder für alles weitere Geschehen.

Anja Kampe singt nach ihrer exzellenten Ortrud nun auch eine kompetente Brünnhilde, allerdings merkt man, dass letztere sie weit mehr herausfordert. Das ist zwar wenig überraschend, doch hätte sie möglicherweise neben einem weniger forschen Siegfried eher glänzen können, obwohl sie und Schager beste Bühnenchemie demonstrierten. Der triste Wiener Walkürenfelsen, für den die mit Ventilatoren durchlöcherten Betonwände aus Mimes Schmiede in den Hintergrund gekippt sind, bietet aber auch nicht den besten Rahmen für Divenglanz. Andererseits ist die Inszenierung von Sven-Erich Bechtolf mit der Schmiede im ersten Aufzug und den ausgestopften Tieren im zweiten noch die ausstattungsintensivste und abwechslungsreichste der Wiener Ring-Opern, die als Großprojekt notwendigerweise Langläufer sind (Siegfried nunmehr 17 Jahre), aber bei weitem nicht die Popularität anderer Dauerbrenner-Produktionen genießen.

Jochen Schmeckenbecher (Alberich)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Faszinierend ist die Leistung der jungen Anna Kissjudit als Erda – sie hat die perfekte Stimme für diese Partie, sodass man gern mehr von ihr hören möchte. Kwangchul Youn gibt den vom Reichtum träg und müde gewordenen Fafner mit treffend breitem Bass. Das Emporsteigen dieser Figur (einst Riese, nun Riesenwurm) aus der Tiefe des Bühnenbodens verfehlt auch dank des dezent glänzenden, blutüberlaufenen Kostüms nie seine Wirkung, während Ileana Toncas Waldvogel, der Siegfried auf Ring, Tarnhelm und den Hort aufmerksam macht, fast ein wenig zu routiniert war. Das ist nicht falsch, versprühte aber nicht ganz den Zauber des Anfangs, der dieser vielleicht märchenhaftesten Szene im ganzen Ring innewohnen sollte.

Den Zauber des Abends lieferte jedenfalls, wie eingangs angedeutet, das Staatsopernorchester unter der Leitung von Philippe Jordan, der alles im Griff hatte und selbst ausgewiesenen Kennern des Werks noch Überraschungen hinsichtlich des Hervorhebens des einen oder anderen Leitmotivs bot. Dass das Vorspiel zum dritten Akt ein wenig mehr Spannung vertragen hätte, kann man unter Geschmackssache verbuchen. Jedenfalls machte die hervorragende Orchesterleistung viel von dem wett, was an Gesangsleistungen teilweise unter den Erwartungen blieb.

***11
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Rezensierte Veranstaltung: Wiener Staatsoper, Wien, am 25 Juni 2025
Wagner, Siegfried
Wiener Staatsoper
Philippe Jordan, Musikalische Leitung
Sven-Eric Bechtolf, Regie
Rolf Glittenberg, Bühnenbild
Marianne Glittenberg, Kostüme
Wiener Staatsopernorchester
fettFILM, Video
Anja Kampe, Brünnhilde
Michael Laurenz, Mime
Andreas Schager, Siegfried
Iain Paterson, Der Wanderer
Ileana Tonca, Waldvogel
Anna Kissjudit, Erda
Jochen Schmeckenbecher, Alberich
Kwangchul Youn, Fafner
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