Wenn sich Christian Thielemann, noch-Chefdirigent der Dresdener Staatskapelle, an der Semperoper für Wagners Opus metaphysicum in den Orchestergraben begibt, wird das traditionsreiche Haus in der sächsischen Landeshauptstadt zu einem wahren Turmbau zu Babel. Läuft man durch die Säle oder lauscht man seinem Sitznachbarn: Das Publikum könnte internationaler kaum sein; aus sämtlichen Teilen Europas und sogar aus Asien ist man angereist, um sich diesem Ereignis mit Festspielcharakter hinzugeben.
In den vergangenen zwölf Jahren seines Wirkens als Chefdirigent führte Thielemann, der sich selbst lieber als Kapellmeister bezeichnet, mit Ausnahme vom Tannhäuser sämtliche große Musikdramen Richard Wagners am Pult der Staatskapelle auf. Tristan und Isolde als intimstes und zugleich radikalstes Werk des Komponisten hob er sich bis zum Schluss auf. Laut eigener Aussage dirigiere er, um nicht selbst wahnsinnig zu werden, Tristan und Isolde lediglich einmal in der Dekade, zuletzt im Jahr 2015 bei den Bayreuther Festspielen und davor an der Wiener Staatsoper in den Jahren 2003-04. Solch bewusst erzeugte Seltenheit lässt natürlich umso mehr Spannung aufkommen, die Thielemann vollends zu befriedigen wusste.
Das große Duett der Liebesnacht des zweiten Akts als auch der Liebestod selbst zeichneten sich durch eine unglaublich feinfühlige Interpretation Thielemanns aus. In zarten Streicherklängen, welche kaum das Mezzoforte überstiegen, dabei nicht das Orgiastische betonten, sondern mit dezent verspritzten dramatischen Ausbrüchen für Kontraste sorgten, schuf Thielemann einen Tristan voller Poesie und Klangfarbenromantik. Dabei nahm sich der Dirigent bewusst zurück und animierte so das Publikum zum aktiven Hinhören. Die Staatskapelle Dresden musizierte jede kleinste Gestik ihres Kapellmeisters folgend mit allergrößter Hingabe in orchestraler Perfektion.
Für die beiden Titelpartien konnten mit Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt zwei langjährige, treue und sich somit in musikalischer Hinsicht besonders komplementierende Wegbegleiter Christian Thielemanns gewonnen werden. Vor wenigen Jahren hätte sich kaum jemand Nylund und Vogt in solch dramatischen Grenzpartien vorstellen können. Umso mehr übertrafen beide in dieser Aufführung sämtliche an sie gestellten stimmlichen als auch interpretatorischen Erwartungen, die sich ganz dem poetischen Zugang Thielemanns zum Werke Wagners fügten, welcher so noch lange in der Werks-Rezeptionsgeschichte nachhallen wird.
Der mit süßlich-heller Stimme als ewiger Lohengrin in die Annalen einzugehen drohende Klaus Florian Vogt nahm erst kürzlich die enorme Rolle des Siegfried in Angriff. Mit seinem nun in Dresden erfolgtem Tristan-Debüt löste er eine Sensation sondergleichen aus, welche ihm endgültig mit einem Ehrenplatz im Fach des Heldentenors auszeichnen wird. Mit treffsicher aufsteigenden Spitzentönen im Liebesduett glich sein Rollenporträt einem Kunstwerk, das ganz ohne ungesundes Forcieren oder Nachdruck auskam. Seine Schmerzensschreie im Fieberwahn des dritten Akts versprühten eine lyrisch-klare Makellosigkeit, welche die sich anschließende Verklärung der Isolde lautmalerisch zu antizipieren schienen. Seine unverwechselbare, gar polarisierend reine Stimme wob sich in bester Wortdeutlichkeit fast metaphysisch ideal in den poetischen Klangteppich der Staatskapelle.