Man nehme zwei Opern, deren Grundthemen sich ähneln, die ansonsten aber keine Verbindung zueinander aufweisen, füge der Handlung des einen Werkes eine Figur aus dem jeweils anderen hinzu und schüttle das Ergebnis einmal kräftig: etwa lässt sich Paul Esterhazys Inszenierung von Alexander Zemlinskys Der Zwerg und Luigi Dallapiccolas Der Gefangene beschreiben.
Im Programmheft erklärt der Regisseur seine Idee der „radikalen Verschränkung“ der beiden Werke als Labyrinth von Bildern und Motiven ausgehend von einem Albtraum, den die Figur der Mutter in Dallapiccolas Oper erwähnt. Bis zur Pause funktioniert das auch ganz nachvollziehbar: In einem gefängnisartigen, kahlen Einheitsbühnenbild spielt sich zunächst Der Zwerg als Psychogramm einer gestörten Gesellschaft ab. Die Zofen haben Ticks, Don Estoban erscheint als eine Art Gefängnisaufseher und die Infantin ist eine hinterhältige Intrigantin in Blair-Waldorf-Optik. Der von ihr erniedrigte Zwerg erscheint hingegen als einzig menschliche Komponente in der Welt der Grausamkeit.
Für die zweite Oper des Abends, Der Gefangene, wurde die Szenerie gespiegelt, an die Stellen der Solistinnen und der Chordamen traten nun Kinder, die Zofe Ghita wurde zur Mutter des Gefangenen. Während dieser von seiner Gefangenschaft erzählte, spielte sich die zuvor schon im Zwerg gezeigte Handlung Szene für Szene gleich ab, was sich für mich vor allem mit dem Libretto oft sehr spießte. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass zu Gunsten einer Idee beiden Opern ein Konzept übergestülpt wurde, das bei einem Werk gut, beim anderen weniger gut und in Kombination überhaupt nicht funktionierte. Musikalisch war die Sache hingegen eindeutiger, denn Dirk Kaftan zog bei seiner letzten Premiere als Chefdirigent in Graz nochmals alle Register.
Die dekadente Hofgesellschaft in Der Zwerg malte er mit dem Orchester in kühlen Farben und einer mitschwingenden Bedrohlichkeit, die er vielschichtig ausdifferenzierte. Präzise Akzente fanden ebenso Raum wie große, raumgreifende Klangschwälle, die stellenweise etwas zu euphorisch gerieten und die Sänger beinahe unter sich zu begraben drohten. Tatjana Miyus als Infantin Donna Clara ließ sich dadurch jedoch nicht zum Forcieren verleiten, sondern umschiffte diese Momente mit technischer Sicherheit und spielte in den weniger dramatischen Passagen ihre Stärken gezielt aus. Ihre eigentlich warm timbrierte Stimme färbte sie merklich kühl und entlockte ihr so ganz neue, gläserne Facetten, die sich ideal mit ihrer Darstellung der Grausamen ergänzten. Den Gegenpol zur frostigen Prinzessin lieferte Aleš Briscein mit seinem hellen Timbre und leidenschaftlicher vokaler Gestaltung. Lediglich über ein paar exponierte Töne musste er sich etwas dünn retten, ansonsten blieben weder stimmlich noch darstellerisch Wünsche offen, da er sich mit vollem Einsatz in die Rolle warf, etwa als der Zwerg sich selbst das erste Mal im Spiegel erkennen muss.