Kaum einige Tage in Wien anwesend, erhielt ich von Seiten des Kaisers eine Einladung, mich vor ihm auf dem Fortepiano hören zu lassen. In dessen Musiksaal eintretend fand ich da selbst jemand, den ich seines eleganten Äußeren wegen für einen kaiserlichen Kammerherrn hielt, allein kaum hatten wir eine Unterhaltung angeknüpft, als diese sofort auf musikalische Gegenstände überging, und wir uns bald als Kunstgenossen – als Mozart und Clementi – erkannten und freundlichst begrüßten. (Muzio Clementi)
Am Weihnachtsabend 1781 begegneten sich Muzio Clementi und Wolfgang Amadeus Mozart, beide gefeierte Klaviervirtuosen und Komponisten ihrer Zeit, in der Wiener Hofburg. Beide Pianisten folgten einer Einladung Kaiser Josephs II. Seit nunmehr sechs Wochen war die Musikliebhaberin Maria Fjodorowna nebst ihrem Gemahl, dem russischen Zarensohn Paul I., sein Gast. Eigens für sie hatte der älteste Sohn Maria Theresias an diesem denkwürdigen Tag ein Treffen der beiden Musiker arrangiert. Während weder Mozart noch Clementi ahnten, dass es zu einem Wettstreit am Klavier kommen würde, wussten die geladenen Gäste vom geplanten Duell. Einsätze wurden getätigt und Wetten angeschlossen. Nur wenige, unter ihnen der österreichische Kaiser, setzten auf den zu dieser Zeit weniger gefeierten Mozart, die meisten jedoch auf den sich größerer Bekanntheit erfreuenden Clementi.
Der 1752 in Rom geborene Muzio Clementi wurde wie Mozart zunächst von seinem Vater unterrichtet. Nach einer musikalischen Ausbildung in seiner Heimat Italien und einer Anstellung als Organist in einer kleinen Gemeinde am Comer See holte ihn sein späterer Förderer, der Brite Peter Beckford, mit vierzehn Jahren ins englische Dorset. Hier widmete er sich dem Spiel auf dem Cembalo und studierte die Werke Georg Friedrich Händels und Johann Sebastian Bachs. Als Clementi 1774 in die britische Hauptstadt zog, wurde er bald Teil des dortigen Konzertlebens und leitete Aufführungen im King’s Theatre am Londoner Haymarket. Sechs Jahre später reiste der italienische Komponist auf das europäische Festland. 1780 konzertierte er in Paris vor Marie-Antoinette, 1781 in München und Salzburg.
Für den 1756 in Salzburg geborenen Wolfgang Amadeus Mozart, der erst wenige Monate zuvor aus seiner Heimat in die österreichische Metropole gelangt war, stand das Zusammentreffen mit Clementi am Beginn seiner Wiener Jahre. Nach der Komposition des Idomeneo für München wollte er sich bei Hofe beweisen. Mozart hoffte auf eine Anstellung und hate deshalb einen großen Teil seiner Entlohnung im Voraus für eine feine Garderobe ausgegeben, wie er es in einem Brief schrieb. „Wie ein Lump konnte ich nicht in Wien herumgehen“, erklärte er seinem Vater Leopold bereits im September 1781, „besonders in diesem Falle“. Denn obschon der junge Pianist wie auch Clementi ein gefeiertes Wunderkind war, stand er als Klaviervirtuose zu dieser Zeit noch im Schatten des vier Jahre älteren Komponisten.
Nachdem Joseph II. die beiden Komponisten einander vorgestellt hatte, wandte er sich an jenem Abend des 24. Dezembers seinen Gästen zu und machte diese mit den Modalitäten des nun anstehenden Duells auf dem Pianoforte vertraut. Muzio Clementi begann den Wettstreit auf einem Steinschen Flügel mit einer eigenen, erst vor Kurzem fertiggestellten Sonate in B-Dur. Dabei ging er weit über deren kompositorische Struktur hinaus und entwickelte ihr Thema zu einer improvisierten Kadenz. Im Januar des Folgejahres beurteilte der 25-jährige Konkurrent auf die Nachfrage Leopold Mozarts das Klavierspiel des Rivalen als mechanisch und gefühllos. „Der Clementi spielt gut, wenn es auf Exekution der rechten Hand ankommt“, hieß es in dem Schreiben. „Seine Force sind die Terzenpassagen. Übrigens hat er um keinen Kreuzer Gefühl oder Geschmack. Mit einem Wort: ein bloßer Mechanikus.“ Wolfgang Amadeus Mozart konterte auf einem leicht verstimmten Flügel, wie er später berichtete, mit einem Andante aus dem Stegreif und zwölf Variationen des Liedes Ah vous dirai-je, Maman in C-Dur. „Drei Tasten blieben stecken“, schrieb er an Leopold Mozart. Dennoch zeigte sich der 29-jährige Pianist Clementi ganz im Gegensatz zu seinem Kontrahenten von dessen Fertigkeiten äußerst begeistert. „Ich hatte bis dahin niemand so geist- und so anmutsvoll vortragen gehört. Vorzugsweise überraschten mich ein Adagio und mehrere seiner extemporierten Variationen, wozu der Kaiser das Thema wählte.“