Mit dieser Vorstellung wurde die Staatsoper Berlin das vierte der sechs koproduzierenden Häuser, das die die Elektra des kürzlich verstorbenen Patrice Chéreau (Premiere 2013 in Aix-en-Provence) auf die Bühne bringt. Sie rückte auch Evelyn Herlitzius wieder ins Zentrum des Geschehens, nachdem in New York Nina Stemme die Titelrolle übernommen hatte.
Herlitzius' Leistung bleibt überragend, sowohl stimmlich als auch dramatisch. Sie schleicht mit wilder Energie über die Bühne, die sich in scharfen, unvorhersehbaren Bewegungen entlädt; trotz der unterdrückten, bezwungenen Natur ihrer Existenz zweifelt man nie an der wild blickenden, übermannenden Entschlossenheit, Rache zu üben. Stimmlich beginnt sie etwas säuerlich im Ton – Stemme besitzt zweifelsohne das „konventionellere“ Instrument – doch diese Aspekte werden weicher und begleichen sich in einem großen, aufregenden Klang, weicher als manch anderer, aber vorbehaltlos in seiner Kraft. Ihre Technik, in der Phrasen oft üppig auf einem Streichinstrument gestrichen scheinen, wirkt unermüdlich und war auch nach einer Stunde nach in der Lage, in der Erkennungsszene herzzerreißende Lyrik zu produzieren.
Ihrer Interpretation zuträglich war auch die Größe der Bühne im Schiller Theater, wo Richard Peduzzis massives graues Bühnenbild intimer wirkt als in der Produktion, die ich im La Scala gesehen habe. Hier schien es auch, als war es Herlitzius gestattet, sich vermehrt in der Nähe des Bühnenrandes aufzuhalten, zum Vorteil des Dramas wie der Akustik.
Und sie erhält ausgezeichnete Unterstützung, nicht zuletzt von Adrianne Pieczonkas grandioser Chrysothemis. Die Stimme der kanadischen Sopranistin scheint in den letzten Jahren etwas von ihrer lyrischen Qualität abgelegt zu haben, um eine deutlich heroische Seite zu entwickeln, und sie sang mit packender Furchtlosigkeit. Michael Volle, der neu in der Produktion ist, gab einen eloquenten Orest und spielte beeindruckend in Detail und Intensität. Waltraud Meiers Klytämnestra war nicht weniger fesselnd gespielt, wenngleich es schwer ist, den Verschleiß in ihrer Stimme gänzlich zu ignorieren, oder das fehlende Fleisch auf den Knochen ihrer mittleren bis tiefen Lage.
Weitere Mitglieder der originalen Besetzung sind die Veteranen Donald McIntyre (Chéreaus Bayreuther Wotan) als Alter Diener und Franz Mazura (Chéreaus Pariser Dr. Schön) als Pfleger des Orest, außerdem Roberta Alexanders Fünfte Magd – Teil einer luxuriösen Besetzung von Mägden und Dienern, zu der nun auch Anna Samuil und Marina Prudenskaya zählen. Hier hatten wir in Cheryl Studer auch eine neue Veteranin als Aufseherin und Vertraute; ein paar weitere Rollen wurden neu besetzt: Stephan Rügamer, stimmlich etwas überfordert, war Aegisth; Florian Hoffmann, allem Anschein der Rolle auch nicht gewachsen, war der Junge Diener.