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Stundenlang Spaß: Ravels Einakter in Köln

Von , 13 Oktober 2016

Ravels zwei einaktige Opern, L’Heure espagnole und L’Enfant et les sortilèges, entstanden im Abstand von 14 Jahren, werden im Opernhaus jedoch üblicherweise als Paar präsentiert. In ihrer Inszenierung der beiden Werke für die Oper Köln versucht Béatrice Lachaussée, die beiden sehr unterschiedlichen Geschichten durch Designeinheit und die ein oder andere zu offensichtliche Charakterüberlappung zu verbinden. L'Heure verliert die spanische Färbung – die der Musik überlassen bleibt – und Nele Ellegiers' Kostüme evozieren stattdessen die 1920er in Paris; Concepción (Katrin Wundsam) tritt als eine Art Lulu-Doppelgängerin (von der Art Wedekind/Berg) auf, was in die dargestellten romantischen Verwirrungen zu viel hineinzulesen scheint. Das Bühnenbild ist eine riesige, auseinander montierte Uhr; man sieht Torquemada (John Heuzenroeder) beim Versuch, sie zu reparieren, bevor die Pflicht ihn zum Zeiteisen des Rathauses ruft (der Anfang war magisch, als Dirigent François-Xavier Roth auf seinem Weg auf das Podium eine Reihe Metronome und damit die Stunde anstieß).

Anstelle der üblichen Standuhren, die Concepción den Maultiertreiber Ramiro (Thomas Dolié) auf und nieder karren lässt, sehen wir Taschenuhr und Wecker in Übergröße, die das Verstecken und Entdecken der Handlung eher surreal als schwankhaft machen. In der Zwischenzeit nutzt Concepción ihre Stunde ohne ihren Uhrmachergemahl und lockt Gonzalvo (Jeongki Cho) in ihr Schlafzimmer, der jedoch einzig seine Lyrik im Sinn hat, während Don Iñigo Gomez (Tomislav Lavoie) mehr Interesse an ihr zeigt als sie in Erwägung zu ziehen bereit ist – sie entscheidet sich stattdessen für den Maultiertreiber. Ravels Komödie ist meisterhaft geführt und die fünf Akteure machten das Beste aus der eher kahlen Bühne. Wundsams Concepción klang erstaunlich leicht für einen Mezzosopran, doch Dolié glich das mit eloquentem Gesang aus und Cho verlieh seiner poetischen Rolle beinahe Mozart'sche Reinheit. Wie schade, dass die Regisseurin es für nötig empfand, die Balance des letzten Quintetts mit einem eher unbegründeten frühen Auftreten des Wildfangs der späteren Oper aufzubrechen und alles auf der Bühne zu durchreißen, wenn das Licht ausgeht.

Die Oper Köln ist derzeit heimatlos und leidet an einer komplexen Vertragssituation bezüglich des Umbaus seines Zuhauses im Stadtzentrum – ein Prozess, der schon zwei Spielzeiten über seine ursprüngliche Fertigstellung hinaus verlängert wurde. Seitdem hat die Kompanie in einer Reihe temporärer Heimstätten Quartier bezogen und wohnt derzeit in einer Ausstellungshalle über dem Rhein, dem Staatenhaus. Das Fehlen von Proszenium und Bühnenhaus scheint Lachaussees Phantasie eher eingeschränkt als beflügelt zu haben und man bekam das Gefühl, dass man in beiden Opern mehr hätte tun können, um den Raum besser zu nutzen.

L’Enfant baut stark darauf, dass die Kostüme die Arbeit machen, den Weckers der ersten Oper eingeschlossen. Regina Richter gab ein übersprudelndes Kind und ihr klangvoller Mezzosopran fing das Gefühl von Reue am Ende wirklich ein. Andernorts stahlen Dongmin Lees mühelose Koloraturen die Schau, wann immer sie als Feuer, Prinzessin und Nachtigall auftrat; zudem gab es erfreuliche Kurzauftritte der übrigen, multitaskenden Besetzung. Der ausgezeichnete Chor wurde unterstützt von Kindern des Kölner Domchores als mathematische Elemente, die aus dem Aufgabenheft entfesselt werden. Doch trotz allen Humors in Musik und Inszenierung ist es der Pathos des Endes, der in der Erinnerung haften bleibt, als das Kind mit flehend erhobenen Armen nach ihrer Maman ruft.

François-Xavier Roths Ravel ist analytischer als der vieler anderer Dirigenten und er zog in beiden Werken jedes magische Detail aus der wunderbaren Orchestrierung des Komponisten. Die Musiker des Kölner Gürzenich-Orchesters, besonders die Bläsersolisten, kreierten einen herrlichen, facettenreichen Klang ungehindert der etwas trockenen Akustik des Staatenhauses.


Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

***11
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Rezensierte Veranstaltung: Oper Köln: Staatenhaus Saal 2, Köln, am 12 Oktober 2016
Ravel, L'Heure espagnole
Ravel, L'Enfant et les sortilèges
Oper Köln
François-Xavier Roth, Musikalische Leitung
Béatrice Lachaussée, Regie
Nele Ellegiers, Bühnenbild, Kostüme
Katrin Wundsam, Concepción
Clémentine Margaine, Concepción
Julien Behr, Gonzalve
John Heuzenroeder, Torquemada, Little old man, Tree frog, Wedgwood teapot
Thomas Dolié, Ramiro, Cat (male), Clock
Tomislav Lavoie, Don Iñigo Gomez, Chair, Tree
Maria Kublashvili, Bat, Shepherdess
Dongmin Lee, Fire, Nightingale, Princess
María Isabel Segarra, Owl
Sara Jo Benoot, Cat (female), Squirrel
Judith Thielsen, China Cup, Dragonfly, Mother
Regina Richter, The Child
Marie Lenormand, The Child
Andreas Grüter, Licht
Georg Kehren, Dramaturgie
Andrew Ollivant, Chorleitung
Gürzenich-Orchester Köln
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