Wenn sich der rote Bühnenvorhang in der Neuinszenierung von Rossinis Barbier am Staatstheater Nürnberg hebt ist von Sevilla keine Spur! Zumindest nicht vom barocken Touristen-Sevilla mit seinen prunkvollen Palästen und populären Plätzen; die Handlung hat Regisseur Josef Ernst Köpplinger eher in eine Vorstadtsiedlung verlegt, wo sich kleine Häuser mit oberflächlich getünchten bunten Fassaden immer wieder um sich drehen und den Blick in eine arg kleinbürgerliche Einrichtungs-Welt mit Chaiselongue, Bügelbrett, Röhrenfernseher und Kofferradio der 60er Jahre öffnen.
Dazwischen hat Bühnenbildner Harald Thor ein Gewirr von rostenden Stahltreppen und schwenkenden Balkontüren arrangiert, über die die Akteure in rasant ausgelassenem Handlungsrausch immer wieder hinwegrennen. Gabriele Heimann hat für die Ausstattung den Kleiderschrank dieser Epoche geöffnet und die Herren in luftig-dandyhafte Kombinationen gesteckt, während Rosina in bunt getupften Sommerkleidern für die hitzige Auseinandersetzung in südlicher Sonne bestens gerüstet ist.
Köpplinger, derzeit Intendant des Gärtnerplatz-Theaters in München, nimmt sich dort witzige Opern- und Musicalstoffe ebenso vor wie vielschichtige Revolutionsdramatik in Gottfried von Einems Dantons Tod an der Wiener Staatsoper. Il Barbiere di Siviglia lässt er an der Nürnberger Oper in den Jahren der spanischen Franco-Ära spielen und zeigt, dass die unheilige Allianz von Adel, Geistlichkeit und Militär hier wie zu Zeiten der Entstehung von Beaumarchais' Komödie um 1775 gleichermaßen aktuell ist. Da quartiert sich Graf Almaviva kurzerhand beim bürgerlichen Dottore Bartolo ein, ohne auf dessen Privatsphäre Rücksicht zu nehmen; da nimmt er sich im überkommenen Adelsrecht den Zutritt zu Rosina, die aus ihrem Käfig im Hause Bartolo ausbrechen möchte; da wandern unendliche Bündel von Geldscheinen als Schmiergeld aus der gräflichen Brieftasche in die Hüte und Hosentaschen von Priestern, Soldaten, Liebesmädchen und Bediensteten.
Jederzeit zu Diensten ist Figaro, der aus der mobilen Ledertasche nicht nur Waschen, Legen und Rasieren anbietet, sondern sich zudem als Tierarzt, Chirurg und Botaniker in der Stadt unentbehrlich gemacht hat. Almaviva hatte zu Beginn mit dem Ständchen einer herrlich schräg intonierten Katzenmusik keinen Erfolg bei Rosina (im turbulenten Durcheinander vortrefflich der Herrenchor des Staatstheaters in der Einstudierung von Tarmo Vaask); da tritt Figaro auf und prahlt mit seinen Plänen und Ideen. Die stylische Vespa ist Zeichen von florierendem Geschäft, wo andere Nachbarn nur auf klapprigen Fahrrädern herumschwanken. Ludwig Mittelhammer gab den agil geschickten, letztlich auf seinen finanziellen Vorteil bedachten Fädenzieher Figaro kernig und mit angenehm ansprechendem Bariton-Volumen, aber auch mit der Prise von betörender Leichtigkeit, die seine Kundschaft mehr überredet denn überzeugt. Dass er am Ende seinen Erfolg preist, der eigentlich aus Almavivas unbegrenzter Geldscheinflut entspringt, gehört zu den Brüchen der Handlung, in der Beaumarchais durchaus auch tragische Momente sah.
Martin Platz legte die Figur des Grafen Almaviva vielschichtig an. Im Vertrauen auf die Macht des Goldes, das letztlich die Geschicke zu seinen Gunsten lenkt, ließ er anfangs das Rollenbild eines verliebten, fast schüchternen Liebhabers entstehen, der noch Figaros Hilfe benötigte und als betrunken erscheinender Soldat dann komödiantisch kräftig aufdrehte. Sein Almaviva war spielfreudig, gleichzeitig stimmschön und genau, selbst wenn in turbulenter Aktion anspruchsvollere Koloratur-Strecken zu bewältigen waren. Ein Meisterstück war die Gesangsstunde mit Rosina im Hause Bartolo, wenn der Graf als Don Alonso verkleidet Rosina neue Atemtechnik und Töne lehrt und den eifersüchtigen Arzt hinters Licht führte!