Seit dem Residenz-Auftakt 2015 ist Philippe Herreweghe mit seinen Originalklang-Ensembles, dem Collegium Vocale Gent sowie dem Orchestre des Champs-Elysées, ein fester Bestandteil jeder Saison der Essener Philharmonie. Nach dem immerwährenden Kreisen um das romantische Repertoire von Bruckner, Schumann und Brahms kehrte er nun wieder zurück, abermals mit weiterem Brahms, nämlich dem beliebten Doppelkonzert. Und Dvořáks Achter Symphonie, hatte sich der Belgier dem Schaffen des Böhmen zuvor ebenfalls zunächst vom Gesanglichen her gewidmet.
Denn damit betätigt sich der Dirigent ja schon länger als Pfadfinder auf dem Weg zum 20. Jahrhundert, das er mit Mahler und Strawinsky erblickt hat, und zwar endlich auf historischen Instrumenten. Brahms' Doppelkonzert bot sich zudem an, als Isabelle Faust das Künstlerpoträt 2019/20 im hiesigen Saalbau gewidmet ist. Mit einem Sakralbau dagegen verglich Herreweghe die architektonische Werkstruktur eines Johannes Brahms, der zwar mächtig daherkommt, durch die Instrumente der Zeit, die reduzierte Orchestergröße, deren Wiener Aufstellung und die transparente Spielweise (sogar bei etwas ungewöhnlicherem Dauervibrato) allerdings nicht dick verputzt war. Hell und leicht strahlte da trotz der energischen Brüche das Sonnenlicht durch die Kirchenfenster, das vor allem Faust in Essenzen warmen Gefühls ins Innere des Raumes und der Seele wandelte. Ihre Klangentfaltung der durch Bogenbetonung und affektsicherer Intensität ansprachefindenden Stradivari-Geige übertrug sich wie immer auf Zuhörer und Orchester gleichermaßen. Vor allem im langsameren, flüssigen, jedoch nicht zerfließenden Mittelsatz ergänzte sich auch Cello-Partner Christian Poltéra in wohligerer, dunkelgetönter Aufnahme der gehaltvoll phrasierten Melodien formidabel mit Fausts Spielfeuer.
Dennoch sollte die Raffinesse – bei allem hervorragendem Zusammenspiel und seiner versierten Technik- und Artikulationsvariation mittels Bogen – durch sein Stradivari-Exemplar nicht diegleiche Effektstärke finden. Deutlich wurde dies in der abschließenden schnellen Parade aus Scherzo und Finale rustico, dem Vivace non troppo und dessen einleitendem Thema, das Faust im Nachgang zu Poltéra mit gewitzter Pointierung übersetzte. Auch wenn man Herreweghes Zugänge als (wohltuend!) durchgearbeiteten Realismus beschreiben möchte, verfingen sich dabei doch in den luftig hohen Decken des aufgebauten Kirchenschiffs traumhafte Gedanken, die in musikalischen Spitzen seitens der Solisten und des zupackenden Orchestre des Champs-Élysées nach oben stiegen zu einem Gesamtkunstwerk. Darüber hinaus entschwebte man in noch höhere Gefilde mit der Zugabe des zweiten Satzes aus Schumanns Violinkonzert in Brittens Doppelkonzert-Fassung, die mit dynamisch eingezauberter und ausgebreiteter Tiefe unter anderem mit sublim schimmernden sul-Stellen zu stockender Verwunderlichkeit führte.