Das letzte der Schaffhauser Meisterkonzerte fand im intimen, stimmungsvollen Rahmen der freskengeschmückten Kirche Burg in Stein am Rhein statt: Transzendenz und Subtilität auf höchstem Niveau. Ein Konzert unberührt vom Touristenrummel im historischen Stadtkern am anderen Ufer, auf den man – geistig etwas abgehoben – bei schönstem Herbstwetter hinunterblicken konnte. Das „abgehoben" traf sicher auf den Beginn des Konzerts zu, mit den ersten vier Fugen aus Bachs unvollendet gebliebener Sammlung Die Kunst der Fuge: das unangefochtene Paradebeispiel absoluter Musik, nicht nur in der Barockzeit. Das Hagen Quartett wählte die ersten vier Stücke, davon die ersten drei in der Reihenfolge der Handschrift: die einfachsten Fugen, über das Thema und dessen Umkehrung, danach ein ähnliches Fugenpaar, mit rhythmisch komplexerem Comes: jedes der Stücke unaufgeregt, ohne jegliches Pathos, in einem einzigen, zwingenden Bogen dargeboten, das Tempo flüssig und dennoch ruhig, fast ruhend, so einfach in der Artikulation, dass sogar Lukas Hagens nur angedeutetes Vibrato beinahe negativ auffiel. Auch die Dynamik blieb unauffällig, folgte dem dramatischen Bogen jeder Fuge.
Es war dies die ideale Einleitung zum letzten Quartett von Dmitrij Schostakowitsch: ein Werk in sechs Sätzen, allesamt Adagio überschrieben. Auch hier blieb die Artikulation vorerst einfach, selbst wenn Vibrato und gelegentliches Portamento jetzt vermehrt zur Ausgestaltung von Melodiebögen zum Einsatz kam. Dabei strebte ersteres nie die Intensität an, die man oft bei Ensembles der Russischen Schule beobachtet. Immer aber bleibt Schostkowitsch seinem harmonischen Idiom treu. Meditative Musik, versonnen, über letzte Dinge im Leben reflektierend, auf das absolut Nötigste reduziert: äußerst anrührend dargeboten, jedoch nie rührselig, zieht sie vor allem in leisesten, gehauchten Passagen in ihren Bann. Im zweiten Satz, Serenade, lässt Schostakowitsch stimmenweise aus dem Pianissimo anschwellen, wobei der Bogen in einem Aufstrich mit zunehmendem Druck in die Nähe des Stegs geführt wird, was den Ton in einem obertonreichen Kratzen enden lässt, später in fast explosive, gerissene Pizzicati mündend. Anfänglich meist einstimmig, wieder mit beinahe volkstümlichen Wendungen, bleibt die Musik auch hier auf das Wesentlichste beschränkt, im Grundton heiter, erzeugt Intensität vor allem über extreme Artikulation. Die Interpretation verinnerlichte dies, entsagte sich jeglichen Versuchs, über Vibrato oder Schweller zusätzliche Intensität zu erzeugen. Die wilde Eruption der ersten Violine über der ruhenden Cellobegleitung im Intermezzo – wie der Einbruch einer Katastrophe – bleibt Episode: das Nocturne lässt die Musik wieder in andere Sphären entschweben. Es ist ein elegischer, melancholischer Gesang in einer für Streicher äußerst unbequemen Tonart, mit traumwandlerischer Sicherheit intoniert.