Der gestürzte und wiedererhöhte Nebucadnezar, König von Babylon, unter dem großen Propheten Daniel – so lautet in barocker Schnörkelsprache der vollständige Titel dieser Oper, die 1704 an der Hamburger Gänsemarktoper uraufgeführt wurde, wo Reinhard Keiser zugleich Kapellmeister und Direktor war und produktiver Komponist. Von seinen etwa 70 Bühnenwerken sind die meisten verschollen. Das Heidelberger Theater hat Nebucadnezar jetzt im Rokokotheater Schwetzingen herausgebracht.
Wie der Titel andeutet, spielt die Handlung in biblischer Zeit während der jüdischen Gefangenschaft in Babylon. Der Stoff ist im Buch Daniel des Alten Testaments überliefert, dient aber dem Librettisten Christian Friedrich Hunold mehr als Aufhänger für eine verwickelte Familiengeschichte.
Die Handlung ist auf den ersten Blick etwas schwer zu durchschauen, denn zwei Ebenen stehen nebeneinander: eine heroische um Nebucadnezar, der wegen seiner Herrscherhybris von Gott bestraft wird, und eine (wie es in der Barockzeit hieß) galante um die privaten Liebeshändel zwischen zwei hinzu erfundenen Paaren sowie der Königin Adina, Nebucadnezars Frau. Zusammen kommen diese Handlungsstränge erst als Nebucadnezar, wie in der Bibel überliefert, von Gott verurteilt wird, wie ein Tier unter Tieren zu leben. In dieser Inszenierung erleidet er einen Schlaganfall und wird, an den Rollstuhl gefesselt, zum Pflegefall. Seine Familie setzt ihn kurzerhand ab und Adina übernimmt die Macht.
Sie nutzt diese vor allem, um sich an den jungen Darius heranzumachen. Der allerdings kann sich zwischen zwei Frauen seines Alters nicht so recht entscheiden. Die eine, Nebucadnezars Tochter Barsine möchte lieber ihre Freiheit behalten, auf die andere, Cyrene, hat Beltsazer, Nebucadnezars Sohn, ein Auge geworfen. Ein erotisches Fünfeck also, das so einige Verwirrung stiftet, welche die Regie durch einige Striche glücklicherweise etwas gestrafft hat. Doch ganz gelingt dies nicht, denn die Handlung verläuft nicht eben zwangslogisch, sondern mit Lücken und Sprüngen und es gibt, anders als später etwa bei Händel oder Mozart, keine Rezitative, welche zwischen den Arien die Zusammenhänge erzählt und weitertreibt. Text und Musik konzentrieren sich ganz auf die Gefühle der handelnden Figuren. Auch ist das frühbarocke Deutsch auf Anhieb nicht so leicht zu verstehen.
Dann ist im Titel noch Daniel genannt, der jüdische Prophet in babylonischer Gefangenschaft. Er ist zusammen mit einem Engel Vermittler zwischen dem heidnischen König und seinem, dem einen Gott. Dreimal wird Nebucadnezar für seine Hybris bestraft, dreimal wird er von Daniel wieder gerettet. Am Schluss befreit er den König von den Infusionsschläuchen und aus dem Rollstuhl, doch ob sich dieser wieder aufrichten kann, bleibt offen. Anders als im Libretto wird Nebucadnezar nicht wieder erhöht, sondern bleibt am Boden liegen, während aus dem Off ein Choral erklingt: „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben”. So weist dieses Ende auf das barocke Motiv der Vanitas, der Nichtigkeit und Vergänglichkeit allen menschlichen Strebens. So kommt am Ende ein nachdenklicher Gedanke in diese weitgehend tragikomische Inszenierung.