„Eine Aue am Ufer der Schelde bei Antwerpen.“ Den weiten Blick, den Richard Wagner im Libretto seiner romantischen Oper Lohengrin vorsieht, kann man in der Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper anfangs nicht genießen. Dafür ein paar Büschel Sumpfgras, kleine Tümpellöcher, zwei lindgrüne Bäume auf einer Böschung. Die von der lettischen Bühnenbildnerin Monika Pormale gestaltete Szene wirkt eher wie ein kleines Terrarium, von dicken weißen Wänden eingefasst, auf denen sich Flusswellen spiegeln; das hat Züge eines keimfreien Laboratoriums, in dem eine Versuchsanordnung aufgebaut wird.
Nach Wagners Notiz sollen brabantische, sächsische und thüringische Grafen und Edle zu Beginn die Bühne füllen, mit ihren Anliegen auf das Schiedsgericht des deutschen Kaisers Heinrich warten. Der Chor, den der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó auftreten lässt, ist ziemlich uniform in weiße Shirts und graue Leggings oder Jeanshosen gekleidet. Das wirkt bisweilen wie das unentschlossene Herumstehen eines Tennisvereins beim Grillabend; selbst Heinrich, an Stelle einer Krone lässig mit seiner Brille spielend, geht grau in den Creme-Tönen der Menge verloren. Dann entwickeln sich aus der großen Schar aber auch stimulierende Signale und Bewegungen, die die Bedeutung der vielen Stimmen in dieser „Chor-Oper“ unterstreichen, den Chor im gedrungenen Bühnenraum an die Rampe holen, das Spiel spürbar intensivieren. Fragen über Fragen also, und dies in einer Oper, in der das Frageverbot essentiell wird und die Beziehung eines Liebespaares zerbricht.
Mundruczó, bisher mehr als Film- und Theaterregisseur in Erscheinung getreten, sucht also keinen historischen Rückblick, dafür eine mögliche Sicht in eine neue Zukunft. Er lässt die Handlung in einer posthumanen Welt spielen, in der eine Gruppe von Überlebenden voller Angst und voller Fragen auf Erlösung hofft. Kein Platz für einen Schwan; den Lohengrin sieht er als eine der „provokantesten inhumanen Figuren im gesamten Opernkosmos”. In der Versammlung, die der brabantische Graf Telramund und seine Gattin Ortrud nutzen, die eigentlich in ihrem Schutz stehende Elsa von Brabant anzuklagen, ihren Bruder Herzog Gottfried ermordet zu haben, entscheidet Lohengrin den Zweikampf zu Elsas Gunsten. Für Heinrich wird der furchtlose Ritter zum optimalen Feldherrn im bevorstehenden Kampf gegen das ungarische Heer. Bei so viel Hoffnung wiegt der Preis dafür nicht schwer: das Verbot der schicksalhaften Frage nach „Name und Art“ des Ritters. Da werden die Brabanter glühende Anhänger des Sympathieträgers, der wie ein Messias die Menschen um sich schart; geradezu wie in einer Sekte hängen sie an seinen Lippen, schwenken euphorisch lange Schilfwedel oder rote Fähnchen. So bleibt Wagners Oper voller unauflösbarer Geheimnisse; Mundruczó nennt diese Widersprüchlichkeit den konstitutiven Teil des Werks, der unbedingt erhalten bleiben sollte.
Sein Hausdebüt feierte François-Xavier Roth, über sein Kölner Gürzenich-Orchester hinaus kaum als Wagner-Dirigent wahrgenommen, mit beeindruckender Prägnanz. Da wird kein schwärmerischer Lohengrin zelebriert; Roth hat mit dem exquisiten Staatsorchester bei aller melodischen Süffigkeit einen eher offenen, fast kühlen, verstandesmäßigen Klang erarbeitet. Man könnte es ein „historisch informiertes“ Musizieren nennen, das weiter von orgiastischen Momenten eines Hector Berlioz inspiriert wirkte, die er tänzerisch agil anfachte. Mit fantastischem Surround-Klang glänzten Trompeten- und Posaunengruppen aus den Logen um das Parkett herum. Ebenso vollmundig überzeugte auch der Staatsopernchor (Einstudierung Tilman Michael) in brillantem Spiel und mustergültiger Diktion.