Zerschlagene Scheiben, abgeblätterter Putz, feuchte Decken – in der Münchner Produktion der Lucia di Lammermoor wird bereits auf den ersten Blick ersichtlich, wie schlecht es um die Familie Ashton steht. Fast schon thrillerartig wird dem Publikum der Untergang der Lucia vorgeführt, wobei der Inszenierung von Barbara Wysocka am Ende der große Rahmen fehlt.
Das eigentlich in Schottland spielende Meisterwerk Donizettis verlegt Wysocka ins Amerika der 50er- und 60er-Jahre und stattet Edgardo als Rock’n’Roller mit Lederjacke aus, der mit cremefarbenem Cadillac auf die Bühne rollt – beängstigend oberflächlich, bedenkt man, dass auch Edgardos Charakter gerade schwere Schicksalsschläge zu verkraften hatte.
Wysocka möchte mit ihrer Inszenierung die „Psyche des Raums“ unterstreichen und mit nur minimalen regietechnischen Einfällen die Musik in den Mittelpunkt rücken. Das Konzept geht deshalb auf, weil das Ensemble die schauspielerische Qualität mitbringt, um Fremdbestimmtheit, Geldgier, Schuldgefühle und natürlich wahre Liebe eindrücklich zu präsentieren. Der Raum allerdings hat seinen psychologisierten Reiz nach dem zweiten Akt verloren, da eine Weiterentwicklung lediglich vom Ensemble ausgeht.
Über die vergangenen Jahre hinweg hat sich Diana Damrau die Rolle der Lucia immer mehr zu eigen gemacht und an diesem Abend bewies sie eindrücklich, dass ihre Lucia zur Zeit ihresgleichen sucht. Die Entwicklung von der jugendhaft Verliebten zur krankhaft Wahnsinnigen ist verstörend und technisch einwandfrei. Traf sie im „Regnava nel silencio“ einen lyrischen Ton voller Farbenfreude und Emotionalität, wandelte sich dieser zu einem dramatisch, verzweifelten, der im „Il Dulce Suono“ gipfelte. Spitzentöne in feinem Piano wirkten wie fiebrige Erscheinungen, begleitet von der gespenstisch wirkenden Glasharmonika. Hysterisches Lachen wechselte sich ab mit höchstakkuraten Koloraturen. Fünfzehn Minuten Wahnsinn, der das Publikum unbeweglich im Stuhl fesselte.
Als ebenbürtiger Partner für Damrau erwies sich Charles Castronovo in der Rolle des Edgardo, der mit klarem, dunklem Tenor seine Rolle mit einiger Substanz füllte. Castronovo wählte einen lyrischen Ansatz, der mit fließendem Timbre an den richtigen Stellen gut dosierte Emotionen nicht vermissen ließ. Besonders stark war seine Arie „Tu che a Dio spiegasti l’ali“ kurz vor seinem Tod, die er mit sehnsuchtsvollen Schluchzern und großer Erzählkraft ausstattete.