Die Dresdner Staatskapelle, einer der renommiertesten Klangkörper der Welt, darf auf eine lange Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte zurückblicken. Ihre Tradition geht zurück bis ins Jahr 1548, als Moritz von Sachsen sein Siegel unter eine „Cantorei Ordnung“ setzte. Heute gilt dieses Schriftstück als Gründungsdokument der Dresdner Hofkapelle, dem Vorläufer der Staatskapelle. Zahlreiche, zu ihrer Zeit weltweit bekannte Kapellmeister trugen zur vielfältigen Wirkungsgeschichte der Staatskapelle bei, so auch Johann Adolf Hasse. Seine von Publikum und Kurfürst hervorragend aufgenommene Oper Cleofide war sein überzeugendes Debüt auf dem Wege zum festen Engagement am Dresdner Hof. Drei Jahrzehnte sollte er hier wirken.
Als ich Hasse und Vivaldi auf dem Programm las, war ich zunächst skeptisch – wie würden Musiker, die das ganze Jahr überwiegend romantische Komponisten wie Mahler, Wagner und Strauss auf dem Pult stehen haben, mit Werken des Barock überzeugen? Doch ihre Anpassungsfähigkeit und eine ausgezeichnete künstlerische Leitung legten den Grundstein, denn Dirigent Alessandro de Marchi hatte sich während seiner musikalischen Laufbahn unter anderem auf Werke des Barock spezialisiert. Vor zehn Jahren leitete er bereits die Produktion der Cleofide an der Semperoper, war dem Eingangswerk und den Musikern also bestens vertraut.
Filigran führte er die Musiker auch am Dienstagabend durch die vier Sätze der Ouvertüre und wusste mit seinem guten Gespür für Dynamik und Klangfarben die Kontraste in Charakter und Form hervorzubringen. Überraschend frisch und spritzig gelang den Musikern der Einstieg ins launige Allegro assai. Im zweiten Satz schlug die Stimmung jedoch abrupt um: In einem melancholischen, aber dennoch nicht behäbigen Lamento erklang das Andante, ganz im Kontrast zum ersten Satz. Der tänzerische dritte Satz verleitete so manchen Zuhörer dazu, mit dem Kopf mitzuwippen, bevor das lebhafte Presto als Abschlusssatz erklang. Mit de Marchis energiegeladener Leitung hatten die Musiker der Staatskapelle eine ausgezeichnete Unterstützung in Bezug auf Interpretation und Ausdruck, welches das Werk zu einer aufregenden Achterbahnfahrt an vielfältigen Klängen und Emotionen machte.
Weiter ging es mit zwei Werken eines namhaften Komponisten, der für die Saison 2015/16 als Capell-Compositeur an die Sächsische Staatsoper berufen werden konnte: György Kurtág. An diesem Abend durfte man der Uraufführung von …a Százévesnek… („an einen Hundertjährigen“) beiwohnen. Die 2002 komponierte Miniatur ist eine Hommage an Kurtágs Landsmann Jenö Takács, in der trotz der kurzen Dauer des Werks eine überraschend vielfältige Palette an kontrastierenden Klangfarben und melodischen Elementen zu hören ist. In der folgenden Sinfonia breve per archi wurde der Hörer ansatzweise an die Klangsprache Strawinskys erinnert. Hier arbeitet Kurtág mit ähnlichen Kompositionstechniken: Kurze melodische Abschnitte, meist nur angedeutet, führt er durch die Stimmen und lässt sie abwechselnd gegeneinander und miteinander erklingen. Er kreiert differenzierte Klangflächen, die sich manchmal aus einem rhythmisch-akkuraten Gefüge herausarbeiteten, mal aber auch als schüchternes Flimmern alleine im Raum standen.