Bekanntermaßen ist die Improvisation eine der Verbindungslinien zwischen den Genres der Alten Musik und des Jazz und auch sonst in Form der Kadenz eine feste Größe im Wandel der Stile und Jahrhunderte. Genauso überraschend, spielerisch jauchzend, verträumt, besorgt oder lieblich wie der persönliche Ausdruck des Erfundenen kann die Nacht daherkommen, die vielfach Thema in der Kunst ist. Kein Wunder also, dass im Rahmen des Bonner Beethovenfestes und seines Mottos „Mondschein“ Blockflötistin Dorothee Oberlinger Station machte, um ihr Programm Night Music vorzustellen, welches über Standardwerke des Barock mit dem Klassiker Round Midnight von Thelonious Monk endet.
So auch zum Abschluss dieses Festivalkonzerts auf dem Petersberg, das zwar nur zur vorgelagerten Serenadenzeit anstelle eines kuscheligen Late-Night-Gigs stattfand, doch mit dem ausgänglich dämmernden Blick auf den sehnsüchtigen Rheinstrom für ein schönes Ambiente sorgte. Bei diesem Stück, das elfte im abendlichen Programm, schlug es allerdings zumindest auf dem Glöckchen zwölfmal, um die von Luigi Mangiocavallo für das Ensemble der Sonatori de la Gioiosa Marca arrangierte Jazzballade mit dem gezupften Kontrabass-Intro über ein Monteverdi-Thema beginnen zu lassen. Cello und Violine stiegen mit dem blue(note)-hypnotischen Slang ein, dessen Grooven und Anschmieren Oberlinger mit der Brillanz der Sopranino über der knappen, etwas untergehenden „Stille-Nacht-Gesangseinlage“ Elisabetta de Mircovichs zum stimmungsvoll köstlich einratzenden Finalton führte.
Seltene Klänge bekam man vorab bei der um Vivaldi konzipierten Agenda zu hören, als Mircovichs Fidelsaitenumschläge zurück ins Mittelalter wogen. Hin zu dem traditionellen sephardischen Lied Nani Nani, dessen orientalische Färbung mit seinen ebenso gar mit dem Jazz verwandten harmonischen Sprüngen und eingleitenden Sprachtonelementen auf der Bühne eine warme und trotz der Entspannungsatmosphärik spannungsvolle Intrada aufzog. Zur ihr schritt Oberlinger ein, die mit der Bassflöte neben einer noch gesanglich-dezenteren, weicheren Stimmung einen benötigten Fluss und die heimelige tiefe Tonlage für das Schlafwohl einbrachte. Wie die Fidel von dort zum Ausklang hinausschritt, tat sie dies erneut bei Fratre Gerardos vertonter Albtraumnacht. In dieser träumt der vermeintlich selig-sinnlich Ruhende vom „süßen Spiel“ der Liebe, bis er feststellen muss, dass ihn seine Geliebte verlassen hat. Klanglich mochten die volkstümlichen Einflüsse ebenfalls wieder an den Anfang anknüpfen, die Mircovich in Variationen und Improvisationen ihrer wechselnden Instrumente (Sopranstimme und Fidel) mit nur leicht schicksalshaftem Impetus versah, während Oberlinger mit tenoraler Renaissanceflöte mehr Theatralik aufbot.
Etwas zurückhaltend geriet so auch die Stimme über der Altblockflöte, die starrer zwischen der Empfindung des Abschiedsschmerzes aus der gegebenen englischen Vorlage von Robert Jones und der fröhlich-sanft belegten Version Jacob van Eycks steckte, die das Arrangement mit sich brachte. Die zum Gesang von Oberlinger dann mit der Sopranflöte improvisierten cantus-firmus-Läufe über die choralartige Liedstrophe veranschaulichten die virtuose Art, mit der der niederländische Meister das Instrument einzusetzen verstand. Dies umso mehr, als er die beliebt-berüchtigte Nachtigall aus der passend titulierten Sammlung Der Fluyten Lust-hof zirpen ließ. Denn dort war Oberlinger in ihrem naturalistischen, lautmalerischen Element, ein Gezwitscher in Form eines musikalischen Spaßes vom Zaun zu brechen, der in Technikvarianz, Artikulations- und Einfallsfreude samt agogischer Reize ihre Imitationsfähigkeit und schlagfertige Spielklasse präsentierte. Die Sonatori de la Gioiosa Marca hatten ihr Solo in Boccherinis „La Ritirata“ aus La musica notturna delle strade di Madrid, in der sie mit etwas mehr Dynamik und Begeisterung den dörflich-romantischen Trupp in gassenhauerisch rhythmischer und einfacher Charmanz darstellten, der zur Sperrstunde im versiegenden Pianissimo die Lichter ausknipste.