Fritz Kreisler war wohl der einflussreichste Violinist des frühen 20. Jahrhunderts, und noch heute ist er ein Vorbild für junge Geiger. So auch für Charlie Siem, der Kreisler mit seinem Programm von Violin-Miniaturen huldigt und dieser Kunstform einen neuen, modernen Anstrich verleiht. Dass er, der nebenbei für Dior und Armani modelt, ein hervorragender Musiker ist, stellte er zusammen mit dem Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Paul Goodwin im Münchner Prinzregententheater eindrucksvoll unter Beweis.
Siem entdeckte das recht unbekannte Stück Underneath the Stars des ebenfalls recht unbekannten Herbert Spencer auf YouTube, gespielt von Fritz Kreisler. Dieses Stück wurde zum Aufhänger für das Programm, das von Auszügen aus Brahms' Ungarischen Tänzen bis Bernsteins On the Town reichte. Das Münchner Rundfunkorchester, das mit Siem einen Großteil der Werke des Abends im vergangenen Jahr aufgenommen hatte, eröffnete den Abend mit dem Ersten, Dritten und Zehnten Ungarischen Tanz. Anfangs rhythmisch etwas instabil ließ das Orchester aber schließlich dank des zügigen Tempos die ungarische Folklore aufleben. Siem passte sich den vorgelegten Tänzen mit der Bearbeitung des Vierten Tanzes für Violine und Orchester perfekt an; gerade das markante Zusammenspiel der Holzbläsern mit dem Solisten war bis ins Detail abgestimmt.
Die Bandbreite, die Siem zeigte, reichte von lyrisch-romantischen bis virtuosen Stücken, wobei die Leichtigkeit, mit der der 29-Jährige zwischen den musikalischen Stilen wechselte, verblüffte. Die Arpeggien und chromatischen Passagen in Saint-Saëns Introduction et Rondo Capriccioso oder in Kreislers La Gitana waren ebenso eindeutig akzentuiert wie expressiv. Die lyrischen Werke, sei es Debussys Clair de Lune, Faurés Après un rève oder Elgars Salut d’amour, verwandelte Siem in gefühlvolle Miniaturen, die er mit klarem, warmem Ton und feinen Phrasierungen darbot, unterstützt vom Orchester, das hier gerne in die Rolle des Begleiters zurücktrat. Seine Qualität stellte das Rundfunkorchester eher bei seinen Soloeinschüben unter Beweis, von welchen besonders die Auszüge aus Bernsteins On the Town zum Höhepunkt wurden. Die Bigband-Sounds, von kreischenden Trompeten bis verführerischen Saxophonen, zeugten beeindruckend von der Ausgewogenheit und Vielfältigkeit des Klangkörpers – diesmal mit präzisem Rhythmus.