„Händel, Guth, alles gut“ – so konnte man den letztjährigen Saul am Theater an der Wien zusammenfassen, und diese Überschrift ist für die aktuelle Serie von Orlando genauso passend: Mit dieser Produktion feiert Claus Guth nach Messiah und besagtem Saul einen Händel-Hattrick.
Orlando ist nach den beiden Oratorien die erste Händel-Oper, die er für dieses Haus inszeniert, weshalb er weniger an erzählbarer Handlung erfinden muss (oder darf), allerdings ist viel Regiehandwerk gefragt, um die Geschichte vom rasenden Roland (frei nach Ludovico Ariostos Orlando furioso) für heutiges Publikum glaubwürdig zu erzählen.
Es geht um den Kriegshelden Orlando, der sich irgendwo im Süden eine Auszeit gönnt, den aber der Zauberer Zoroastro zurück an die Front bringen will. Allerdings hängt Orlando einer gemeinsamen Vergangenheit mit Angelica nach, die aber wenig Aussichten auf Wiederbelebung hat: Sie ist mittlerweile mit Medoro verbandelt und steht vor dem Aufbruch in ein neues Leben an seiner Seite. Medoro wiederum sendet widersprüchliche Signale an Dorinda, die heftig in ihn verliebt ist, aber letztendlich gegen Angelica den Kürzeren zieht. Diese amouröse Niederlage macht Orlando buchstäblich wahnsinnig, und in diesem Zustand stellt er allerlei an, das er später bereuen wird. Oder hat er das nur fantasiert? Hat Zoroastro die Angelica und Medoro vor seiner Rache beschützt? Das Schlussquintett mit einem zumindest vorübergehend geheilten Orlando legt das nahe.
Soweit, so werktreu, denn Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt nutzen das Libretto als Inspirationsquelle für viele Überraschungsmomente. Die fünf Protagonisten treffen in und rund um einen billigen, von Palmen umgebenem Plattenbau aufeinander, den die Drehbühne von allen Seiten zeigt. Zunächst sieht man das Innere von Orlandos schäbiger Absteige, wo der Held mit posttraumatischer Belastungsstörung das tut, was einsame Männer mit viel Freizeit gemeinhin so tun, und das beschränkt sich nicht auf Biertrinken beim Videospielen (wozu rocafilm einen sogar einen Orlando-Krieger-Avatar geschaffen hat). Die Rückseite dieser Ansicht ist die Garagenausfahrt des Baus, an der Dorinda ihre mobile Imbissstube hat, und wo die Reisevorbereitungen von Angelica und Medoro nicht vom Fleck kommen. Auch an der Schmalseite des Blocks geht nichts weiter (an seiner vermüllten Busstation kommt kein Bus), dafür sieht man mit der vierten Gebäudeseite ein schönes Beispiel für den „Vertical Gardening“-Trend. Dass das genau zum Libretto passt, merkt man spätestens, wenn Angelica ein Abschiedslied auf ihre geliebten Pflanzen singt, und die Verliebten ihre Initialen nicht in einen Baum, sondern in die flechtenbewachsene Wand nächst der Feuerleiter ritzen. Diesem Ambiente gibt Guth mit ein paar stummen Figuren noch mehr Lebensnähe: Dorinda erzählt einem Kunden ihres Imbissstands von ihren Liebesnöten, und Orlando hat anfangs mit Buddy eine verkrachte Existenz zur Seite, die Orlandos Weg in den Abgrund schon vorausweist.