Das 53. Internationale Wratislavia Cantans Festival steht ganz im Zeichen der Feierlichkeiten zur einhundertjährigen Unabhängigkeit Polens, sodass das Motto der „Befreiung“ zwangsläufig häufig mit inzidenten und historischen Kriegszuständen korrelierte, die auch in der Barockzeit alltäglich waren; alltäglich wie der Kampf innerer Konflikte, von der die Musik an sich lebt. Rückten die Kollegen Giovanni Antoninis dabei polnische Komponisten in den Mittelpunkt, belichtete darauf der Italiener mit seinem Ensemble Il Giardino Armonico das Herzensrepertoire vom Barock und Haydn, dem im ersten von zwei Konzerten ein ganzer Abend gewidmet war. Die Missa in tempore belli ließ, wie die Symphonie Nr. 45, Haydns musikalische Eigenheit und Kuriosität, Dramatik und Klugheit hochleben.
Hoch türmten sich die Emotionen bereits in den ersten beiden Werken, der Ouvertüre zur Oper L'isola disabitata und der Scena di Berenice, die Antonini zusammenfasste. Mit lebhaften, harten Kontrasten und Akzenten, lauffeuer-schnell, knackig und passioniert überrumpelte er die Zuhörer regelrecht, sodass sie die vertonten Dramen der Protagonisten – ersteres frei nach Robinson Crusoe – fast piktografisch mitverfolgen konnten: das rollende Schiff, das die Unverschlungenen unter Unwetterwellen auf die einsame Insel spülte, die sich durch die wuseligen Streicher tatsächlich derart wüst darstellte, dass das Überleben ein Rästel war. Dies löste das Ensemble mit dem eingebauten Allegretto-Menuett, welches mit kurzer Nadel des Survivalpakets gestrickt und umschmeichelt war von zärtlich-spritzigen Wiegenklängen des Meeres um das westindische Eiland. Gleich verzweifelt zu sterben begehrt dagegen Berenice, die mit Sandrine Piau auf die Bühne schritt. Dort nahm sie die Stimmung auf, um von ihrem tragischen Schicksal zu erzählen, vor der Liebe ihres Lebens verbannt zu sein. Durch ihre genaue Artikulation und textliche Betonung der expressiven seufzerischen Aufruhr, auch in guter Tiefe, verleitete sie locker und klar zum Mitfühlen. So überbordend ihr Zustand – untermauert von entsprechend aufmerksam eingefeuerten Einwürfen melancholischer oder scharf entschlossener Art des Orchesters – darin war, Piau hatte die Zügel in der Hand, beweglich, schlank, bei sentimentalen Höhepunkten mit stärkerem Vibrato, den Rausch geschmacklich präzise zu verarbeiten.
Mit kleiner Ausnahme der ersten Takte und der etwas schüchternen Oboen geriet Haydns legendäre Abschiedssymphonie im Kopfsatz selbstverständlich nicht anders als munter. Munter ranken sich schließlich die Interpretationen und angeblichen Berichte, was den Komponisten zu dem Stück veranlasste. Am meisten hält sich die vom Konflikt des Fürsten Nikolaus mit seinen Musikern, die wegen des langen Musiksommers 1772 am Schloss Esterhazy getrennt von ihren Familien waren und Heimweh befiel. Davon zumindest gedanklich nicht ungeleitet, hörte man bei den Stellvertretern von Il Giardino Armonico heftiges Diskutieren, den groben Unmut in akzentuierten und dynamischen Auseinandersetzungen, Musiker, die sich für ihren Kapellmeister Haydn ins Zeug legten und – dem Tempo nach – wirklich eine schnellstmögliche Rückkehr nach Hause erbaten. Dass sich dies nicht sofort ergab wie erhofft, stand ihnen mit dem ersten Adagio tonlich ins Gesicht geschrieben. Nachdenkliche Violinen con sordino vermissten schmerzlich ihre Zurückgelassenen, die Oboisten quakten mahnend ihr Leid und der Rest spann in dem nicht enden wollenden Satz alle Beteiligten, vor allem auch den Arbeitgeber auf die Folter.