Lionel Bringuiers letzte Saison als Chefdirigent des Zürcher Tonhalle-Orchesters neigt sich dem Ende zu. Dies ist aber weder für den Dirigenten noch für das Orchester Anlass, die Zügel fahren zu lassen – ganz im Gegenteil. Technisch boten Dirigent und Orchester in der gut verkauften Tonhalle Maag ein Konzert auf höchstem Niveau, von Honegger bis Rimskij-Korsakow. Für Brittens Klavierkonzert wurde mit Leif Ove Andsnes zudem ein Solist allererster Güte engagiert. Es war ein Abend, auf den man gespannt sein durfte.
Als Auftakt wählte Bringuier den zweiten von Honeggers Mouvements symphoniques, mit dem Titel Rugby. Selbst Kenner dürften aus der Komposition schwerlich Spezifisches dieser Sportart heraushören. Allerdings ist das zumindest aus heutiger Sicht für die Rezeption dieses Werks kaum von Belang, handelt es sich doch primär um äußerst interessante und unterhaltsame Musik. Dennoch, die erratischen Bewegungen des Balls und der Spieler, das Durcheinander auf dem Spielfeld, die schnellen Wechsel von Aktion und Abwarten hat Honegger ausgezeichnet nachgebildet; ein vielfältiges Kaleidoskop von Motiven und unterschiedlichen Rhythmen. Die häufigen Taktänderungen vermitteln trotz ruhelos fortschreitendem Grundtakt das Gefühl wechselnder Tempi. Bringuier setzte auf Transparenz, klare Konturen und rhythmische Übergänge. Streicher und Blech spielen sich gegenseitig Impulse zu. Der Spaltklang, welcher in der Komposition schon angelegt ist, kam in der analytischen Akustik des Saals besonders zur Geltung. Das Orchester zeigte sich in Bestform, folgte bereitwillig den akkuraten Bewegungen des Taktstocks, glanzvoll, virtuos, alert. Anfänglich dominieren Dissonanzen, scharfe, kraftvolle Bewegungen. Im Verlauf mischt sich zunehmend auch die heitere Stimmung der Siegermannschaft dazu, steigert sich zu einem glanzvollen Finale voller packender und spannender Musik mit einem nie nachlassenden Zug zum Schlussakkord hin.
Trotz Zwangspause für die Aufstellung des Flügels schien sich Brittens Klavierkonzert nahtlos an das brillante Eröffnungsstück anzuschließen. Ein Meisterwerk auch dies, hochvirtuos, mit der Geschäftigkeit von Mendelssohns Konzerten, doch ohne deren Leichtfüßigkeit. Es ist ein kräftezehrender Solopart, von Andsnes „auf der Stuhlkante musiziert”, alert, dabei beständig mit Ohren und Augen auf die Begleitung achtend. Schon die parallelen forte-Staccati im ersten Solo sind anstrengend, erst recht die nachfolgenden, zahllosen Tremoli und parallelen Läufe: äußerst intensive Musik mit nie nachlassender Dramatik und Motorik, die dem Pianisten das letzte abfordert. Andsnes blies gelegentlich unbewusst die Wangen auf, beinahe wie ein Boxkämpfer am Ende einer Runde. Dabei war die Zusammenarbeit mit dem Orchester von unerhörter Kohärenz, praktisch perfekt. Ganz selten, etwa da, wo Andsnes die Beschleunigung zur Kadenz des ersten Satzes einleitete, war er dem Orchester momentan eine Spur voraus – aber um dies zu bemerken, musste man schon sehr genau hinhören.