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Mitreißende Neuinszenierung von Donizettis La Fille du régiment in München

Par , 23 décembre 2024

Die Oper eines Italieners, in Paris uraufgeführt, die in den Tiroler Bergen spielt! Gaetano Donizetti, der immerhin 71 Opern komponierte, eroberte Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Bühnen Frankreichs. Drei seiner neuen Opern, zwei an der Opéra und La Fille du régiment an der Comique, waren es schließlich, mit denen er 1840 Paris im Sturm eroberte. Die französischen Librettisten Jean-François Bayard und Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges hatten das Textbuch verfasst; und nicht nur Hector Berlioz beklagte einen „wahren Invasionskrieg”. Die schmissige Cabaletta „Salut à la France“ galt quasi als zweite Nationalhymne. Donizettis italienische Fassung wurde im gleichen Jahr an der Mailänder Scala erstaufgeführt, setzte sich aber nicht durch. Und bereits 1843 lief die erste Aufführung der ins Deutsche übersetzten Regimentstochter in München. 90 Jahre nach der letzten deutschsprachigen Inszenierung kommt sie hier nun in der französischen Urfassung wieder neu auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper.

La Fille du régiment
© Geoffroy Schied

Verdis Aida, Damiano Michielettos erste Regiearbeit in München, war mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Die Neuproduktion von La Fille du régiment wurde vom Premierenpublikum nun einhellig begrüßt. Michieletto erzählt mit wohlwollender Sympathie die Geschichte der jungen Marie, die als Findelkind von den Soldaten des französischen 21. Regiments in Tirol aufgenommen worden ist und seitdem als Regimentstochter ein glückliches, jungenhaftes Leben zwischen Holzhacken und Trommelspiel führt. Dass sie sich in den Bauernsohn Tonio verliebt hat, als Tochter des Regiments aber nur einen Soldaten aus der Truppe heiraten darf, wird zum Problem. Tonio überlegt nicht lange und tritt, als Tiroler eigentlich ein Feind der Besatzungstruppe, dem Regiment als Soldat bei, um dieses Hindernis auszuräumen.

La Fille du régiment
© Geoffroy Schied

Paolo Fantins Bühne bildet den passenden Rahmen, ohne zu viel Schnickschnack anzuhäufen. Vor einer überdimensionalen Waldfotografie, deren Nadelbäume bereits das Baumsterben ahnen lassen, erstreckt sich im ersten Akt eine schräge Spielfläche, auf der Soldaten zackige Manöver durchführen. Agostino Cavalca hat sie in noble Fellmützen und edelweiße Paradeuniformen mit Frackschößen gesteckt, die man eher bei salutierenden Gardesoldaten suchen würde. Auch Marie, deren Feuereifer der Kommandant Sulpice geprüft hatte, darf in diese Uniform hineinwachsen.

Misha Kiria (Sulpice) und Pretty Yende (Marie)
© Geoffroy Schied

Bald erkennt Marquise de Berkenfield in Marie ihre uneheliche Tochter, Frucht einer Liebschaft mit einem französischen Offizier. Sie nimmt sie auf ihr Schloss mit, um sie in die adelige Gesellschaft einzuführen und mit dem einflussreichen Duc de Crakentorp zu vermählen. Auch hier beherrscht moderne Nüchternheit die Bühne; am Rand dominieren ein barockes Sofa und eine alte Harfe, auf der Marie unlustig ihre Fingerübungen absolviert und sich während der Singstunde in dissonante Harmonien flüchtet. Michieletto zieht hier alle Register von Humor und Komödiantik. Bedienstete tragen Maries Abschiedsgeschenk der Kameraden, ein riesiges Rechteck aus dem Waldpanorama, herein und hängen es in den wandfüllenden Rahmen; ein wunderbar ausgespielter Regieeinfall, der beide Stränge von Maries Herkunft nun in einem Raum vereint. Obwohl sie sich nur schwer an das Leben im Schloss gewöhnen kann, will sie den Duc aus Pflichtgefühl ehelichen.

Dorothea Röschmann (Marquise de Berkenfield)
© Geoffroy Schied

Michielettos Soldaten strahlen Wärme aus, insbesondere Sulpice, der Marie in seinen Schutz genommen hatte. Maries Problematik zwischen unbekannter Herkunft und unsicherer Zukunft wird so gemildert. Ebenso wie Tonio ringt sie um ihre Identität, muss mit von außen erzwungener Transformation ihres Lebenswegs zurechtkommen. In Maries Fall prallen zwei Welten, Militär und Aristokratie, aufeinander. Sie wächst in Marschmusik und militärischem Trommelwirbel auf, zeigt aber auch Momente großer Empathie und Zartheit, in der Donizettis Musik andere tonale Färbung und Durchsichtigkeit annimmt. Dass schließlich beide, Marie wie Tonio, ihre Zukunft in eigene Hände nehmen, erlaubt ein Happy End der verschlungenen Szenerie.

Pretty Yende (Marie)
© Geoffroy Schied

Großen Anteil am Erfolg der Oper in München hatte das Bayerische Staatsorchester, das unter Stefano Montanari, der hier schon Händels Agrippina und Mozarts Figaro detailreich aufgefächert hatte, sich wunderbar vielfarbig präsentierte, mit edler Klangfülle etwa von Horn und Oboe in der Ouvertüre oder kecken und fantasiereichen Rubati des Fortepianos während der an Stelle von Rezitativen eingefügten Sprechszenen. In den umfangreichen Chorszenen imponierten Klang und Spiel des Staatsopernchors in der Einstudierung von Christoph Heil.

Erstmals in einer Neuinszenierung begeisterte die südafrikanische Sopranistin Pretty Yende die Münchner; als Temperamentsbündel von mitreißendem Spielwitz brach sie im zweiten Akt immer wieder aus der Rolle der braven Tochter Marie aus. In den zahlreichen, mühelosen Koloraturen faszinierte sie mit hell leuchtendem Sopran aus sehr sicher als Ausdrucksgesten eingesetzten leichtgängigen Spitzentönen, darunter strahlender Wärme einer satten Mittellage. Dorothea Röschmanns mit intensivem Mezzo bildete als Marquise de Berkenfield einen herrlich affektierten Gegensatz dazu und punktete durch zur Schau getragene adelige Arroganz.

Pretty Yende (Marie) und Dorothea Röschmann (Marquise de Berkenfield)
© Geoffroy Schied

Mit warmem Bass gestaltete Misha Kiria den Sulpice: ein durchtrieben liebevoller Schelm und „Vater“, in den Marie zu Recht so großes Vertrauen setzt. Dem spanischen Tenor Xabier Anduaga fiel es in der Rolle des Tonio nicht schwer, sich kraftvoll in seiner berühmten Tenorarie „Ah, mes amis, quel jour de fête!” öfters zum hohen C emporzuschwingen. Einschmeichelnd zart machte er Marie dann im Liebesduett den Hof.

Xabier Anduaga (Tonio) und Pretty Yende (Marie)
© Geoffroy Schied

In einer Sprechrolle kommentiert La Duchesse de Crakentorp die Handlung, streut blasiert durchaus moderne Lebensweisheiten ins Spiel, die für elektrisierende Heiterkeit sorgen. Eine Paraderolle für die Schauspielerin Sunnyi Melles, die im wallenden Reifrock geradezu kratzbürstig und mit abgeklärt sarkastischem Unterton zum Widerstand gegen gesellschaftlichen Druck aufwiegelte. Dass sie nicht überall gut zu verstehen war, zeigte, dass das große Opernhaus doch kein Sprechtheater ist. Ein großartiger Abend, den Musikliebhaber sich nicht entgehen lassen sollten!

*****
A propos des étoiles Bachtrack
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“in den zahlreichen, mühelosen Koloraturen faszinierte Pretty Yende mit hell leuchtendem Sopran”
Critique faite à Nationaltheater, München, le 22 décembre 2024
Donizetti, La Fille du régiment
Bayerische Staatsoper
Stefano Montanari, Direction
Damiano Michieletto, Mise en scène
Paolo Fantin, Décors
Agostino Cavalca, Costumes
Alessandro Carletti, Lumières
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor
Mattia Palma, Dramaturgie
Pretty Yende, Marie
Dorothea Röschmann, Marquise de Berkenfield
Xabier Anduaga, Tonio
Misha Kiria, Sulpice
Martin Snell, Hortensius
Christoph Heil, Chef de chœur
Christian Rieger, Basse
Dafydd Jones, Ténor
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