Ein für Zürich erfrischend ungewohntes Bild: die Männer des Orchestre de Paris waren durchweg im halblangen Gehrock gekleidet. Schon allein dies weckte die Erwartung auf ein interessantes Konzert!
Mit der Caprice Nr. 2, Op.72 des 1968 geborenen Westschweizers Richard Dubugnon eröffnete ein Auftragswerk dieses Orchesters den Abend, ein unterhaltsames, facettenreiches Werk von etwa 14 Minuten. Der Beginn ist plakativ, mit reichem Bläserglanz. Nach wenigen Takten folgt eine verinnerlichte Passage, und im weiteren Verlauf alternieren extrovertierte Üppigkeit (meist geprägt von Blech und Perkussion) und leisere, oft fast intime Segmente, typisch dominiert vom seidenen, homogenen Klang der großen Streicherbesetzung. Da gibt es gemütlich schreitende Bässe, kapriziöse Dialoge zwischen Violinen und Holzbläsern; eine Stelle mit Xylophon und Celesta erinnert an Paul Dukas, Klanggruppen werden gegeneinander ausgespielt, jazzartiges wandelt sich zu aleatorisch inspiriertem, buntem Treiben, über Donnergrollen und hinreißende Perkussionssequenzen bis hin zum Schluss mit zwei starken Paukenschlägen.
Dirigent Paavo Järvi meisterte die häufigen Takt- und Tempowechsel souverän. Dubugnon schreibt atonal, gelegentlich polytonal, aber nicht abweisend dissonant – die Musik hat keinen traditionellen harmonischen Verlauf, und damit fehlt dem Hörer ein vielleicht erwartetes Ordnungselement. Nachträglich las ich, dass es sich um einen Variationensatz handelt, was für mich im unvorbereiteten, erstmaligen Höreindruck nicht ersichtlich war. Ich sehe dies nicht als Manko, denn das Werk erschloss sich mir in seiner abwechslungsreichen, intensiv-reichen Klangwelt auch ohne dieses Wissen.
Im Klavierkonzert von Robert Schumann setzte sich Khatia Buniatishvili an den Steinway D, eine Studie zu Le Rouge et le Noir, wohl ohne Bezug zu Stendhal und leider auch mit begrenztem Bezug zu Schumann. Letzteres ist nicht einfach enttäuschte Hörerwartung: die Solistin bewegte sich meines Erachtens konsequent weg vom gängigen Trend hin zum Originalklang, weg vom Versuch, die Intentionen des Komponisten im Rahmen der Notation der Partitur zu ergründen. Schon die ersten Akkordkaskaden waren viel rascher als notiert, die Sechzehntelnoten verkamen zu flüchtigen, kurzen Vorschlägen. Danach setzte das Orchester in eher zu langsamem Tempo ein, und die nachfolgende Solostelle (espressivo) folgte dann noch langsamer, extrem lyrisch und weich, verschleiert, versonnen-verträumt. Wo das Klavier Begleitfiguren spielte, klangen diese sehr verschwommen, kaum wahrnehmbar, zumal mit dem tendenziell zu großen und zu lauten Orchester. Wo das Klavier mit marcato-Oktavparallelen einsetzte, war das Zeitmaß plötzlich wieder (zu) rasch. Generell benützte die Solistin extreme Tempi, wechselte zwischen sehr lyrisch und übertrieben schnell-virtuos. Ich empfand ihr Spiel als technisch überlegen (oft zu glatt und perfekt), es ließ jedoch detaillierte Artikulation, Feinheiten in Nebenstimmen sowie Agogik, dieses feine Spiel mit Verzögerung und Beschleunigung innerhalb eines Taktes, vermissen.