Was eigentlich Anlass zur Freude sein sollte, wirkt hier wie eine Drohung: Ein weißes Brautkleid aufgestellt in der Mitte der Bühne. Die Frau, für die es bestimmt ist, würde es niemals freiwillig tragen, eher wählte sie den Tod. Es ist Zenobia, thrakische Prinzessin und Frau des Titelhelden in Händels Oper Radamisto. Der armenische König Tiridate hat es als Ultimatum gleichsam in den Boden gepflanzt, denn er setzt alles daran, Zenobia zu erobern und in dieser Absicht führt er Krieg gegen das Thrakerreich. Für seine eigene Frau Polissena dagegen empfindet er nur Abscheu.
In dem minimalistischen Bühnenbild einer aufsteigenden Treppe zeigt sich Radamisto in Frankfurt im Bockenheimer Depot, einem Industriedenkmal der vorletzten Jahrhundertwende, von Tilman Köhler in diesem stimmungsvollen Ambiente mit wenigen, aber umso klarer eingesetzten bildlichen Mitteln inszeniert. Hohe Perfektion bezieht die Regie aus einer subtilen Personenführung, die den äußeren Handlungsverlauf klar erzählt und durch welche die Motive der Protagonisten und deren Seelenlage gleichsam durchleuchtet werden: In der Mitte der Oper etwa betrauert Radamisto den (vermeintlichen) Tod seiner geliebten Frau. Um für diese Ombra-Szene eine anrührend dichte Atmosphäre zu schaffen, braucht es in dieser Inszenierung lediglich abgedunkeltes Licht und eine vom Geist der Verstorbenen langsam hereingetragenen Kerze. Das Übrige tut hier der russische Countertenor Dmitry Egorov, der diese Arie berückend schön intoniert und der als Radamisto das auch in allen weiteren Rollen großartige Sängerensemble als Titelfigur anführt.
Krieg ist die beherrschende Erfahrung dieser Opernfiguren, angezettelt von Tiridate, dem Despoten und Menschenverächter, der alles dominierenden Gestalt, die der Bariton Kihwan Sim hart, mitunter grausam kalt singt. Bis ins Groteske gesteigert zeigt er die Hybris, die diesen pathologischen Mann zur Befriedigung seiner Begierde antreibt, wobei er eher bereit ist unterzugehen als zu verzichten. Mit diabolischer Jovialität versucht er sich Zenobia, dem Objekt seiner Begierde zu nähern; mit eiskalter Verachtung quittiert er die nicht nachlassenden Annäherungsversuche seiner eigenen Frau. Zum Zeichen seiner grandiosen Selbstüberschätzung lässt die Regie ihn wie Chaplins großen Diktator mit einer Weltkugel jonglieren.
Die beiden Frauen sind die einzigen gradlinigen Charaktere dieses Stücks und den Sängerinnen gelingt es, diese in ihren Verletzungen und Qualen als starke Frauen packend zu zeigen. Paula Murrihy gestaltet als Polissena eindrücklich die auch von größter Erniedrigung nicht erschütterte Liebe zu Tiridate. Bereits in der ersten Nummer der Oper, dem Arioso „Sommi Dei“, schwingt in der Stimme tragische Schwere. Gaëlle Arquez als Zenobia dagegen zeigt eine entschlossene Kämpferin gegen Bedrängung und Unrecht. Phänomenal, wie sie während der Wutarie „Già che morir non posso“ raumgreifend sogar ins Publikum vordringt, ein starkes Symbol für die ausufernde Macht der ausgedrückten Gefühle - und dies bei stets klangschöner und bewundernswert sicher geführter Stimme. In der ungewöhnlichen Arie im 2. Akt, einer synchron geführten Kommunikation mit dem geliebten Radamisto und dem verhassten Tiridate, zeigt sie enorm kunstvoll ihre vokale Wandlungsfähigkeit.