Ein lauter Peitschenknall, dann sind die Pferde losgelassen, will sagen: Das Rennen ist eröffnet; ein Rennen zwischen Klavier und Orchester in Maurice Ravels Konzert in G-Dur. Ganz anders in Tschaikowskys Pathétique (h-Moll): Hier steigt pianissimo das Thema aus der Tiefe der Fagotte und Kontrabässe auf und entwickelt sich zu einem düster grundierten Adagio. Sprudelnde Lebensfreude und tiefe Melancholie – ein größerer Gegensatz in Musik ist kaum denkbar. Und als Einleitung die Fanfare for the Common Man von Aaron Copland: plakative Musik, die mit mehr als zehn kräftigen Schlägen auf die Kesselpauke und das Tamtam beginnt. Dies waren die scharf kontrastierten Anfänge der Stücke in diesem Konzert des Rotterdam Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines Chefdirigenten Lahav Shani in Baden-Baden.
Seong-Jin Cho
© Andrea Kremper
Coplands Fanfare mag als effektvolle Konzerteröffnung gedacht gewesen sein, musikalisch gab sie nicht viel her, außer dass sich die Rotterdamer Blechbläser hier wirkungsvoll präsentieren konnten. In einer ganz anderen Liga spielt Ravels Klavierkonzert. Hier gibt es für Pianist und Orchester zahllose Gelegenheiten, virtuos zu brillieren. Weder Seong-Jin Cho, der pianistische Superstar aus Korea, noch das Orchester ließen in dieser Hinsicht irgendwelche Wünsche offen. Die beiden turbulenten Ecksätze sprudelten vor Kraft und Vitalität. Shani heizte das Tempo ordentlich an, behielt aber stets das Heft in der Hand. Das Orchester spielte außerordentlich transparent, so dass die großartige Instrumentation Ravels zu bester Wirkung kam. In allen Gruppen wurde auf den Punkt gespielt und rhythmisch entfesselte sich gehörige Spannung, ein schöner Drive und genussvoll ausgekostete blue notes, mit denen Ravel seine Musik gewürzt hat.
Der Pianist war in Temperament und Präsenz ebenbürtig. Im langen Solopart des zweiten Satzes, Adagio assai, allerdings kam er an seine Grenzen, denn hier kam einfach die Poesie der Musik zu kurz. Sein Anschlag war neutral und ohne Wärme. Auch entstand kaum Binnenspannung aus der subtilen Rhythmusverschiebung zwischen Melodie und Begleitung. Erst als die Flöte und das Englischhorn hinzu traten, kam Atmosphäre und Seele in die Musik.
Lahav Shani dirigiert das Rotterdam Philharmonic Orchestra
© Andrea Kremper
Seit Tschaikowsky über seine letzte Symphonie schrieb, ihr liege zwar ein Programm zugrunde, dieses solle aber „für alle ein Rätsel” bleiben, wird über den biographischen Hintergrund der Pathétique spekuliert. Es habe gegen den Komponisten wegen seiner Homosexualität das Urteil eines Femegerichts gegeben, sich selbst das Leben zu nehmen. Tatsächlich starb Tschaikowski nur neun Tage nach der Uraufführung in St. Petersburg an einer Cholerainfektion, die er sich mit verseuchtem Wasser zugezogen haben soll. Mysteriös bleibt, dass die Symphonie offensichtlich den Charakter eines persönlichen Requiems trägt.
Die Interpretation durch Lahav Shani ließ an diesem Charakter keinen Zweifel. Eine depressive Stimmung durchzog die ganze Symphonie. Natürlich im ersten Satz mit seinem unter schwerem Moll lastenden Eingangsthema, wo sich auch im Seitenthema die Stimmung nicht aufhellte, sondern selbst eine Flötenmelodie nur verhalten aufsteigen konnte und die Aufschwünge der Violinen schmerzlich erschienen. Shani schärfte die Expressivität der Musik prägnant an. Deutlich hob er das Zitat aus der russischen Totenmesse hervor. Der merkwürdige Choral in der Coda wurde von strengen Pizzicati der tiefen Streicher flankiert. Viel erzählte diese Musik von Traurigkeit, Abschied und auch von Schmerz.
Keine Freude kam auch im zweiten Satz auf, einem Walzer im 5/4 Takt, wo im Mittelteil auf den sehnsüchtig gezogenen Linien der Streicher im ersten Taktteil besondere Schwere lastete. Grell dann das Scherzo: äußerst präzise, mit rauschenden Kaskaden vom Orchester ausgeführt und fast grotesk der Marsch, zu dem sich die Musik allmählich entwickelt. Der danach aufbrandende Beifall war wohl der brillanten Orchesterleistung geschuldet, aber dennoch unpassend, denn Tschaikowsky schickt dieser brüchigen Vitalität ein tieftrauriges Lamento nach, einen vierten Satz, in dem die Musik nur noch Trauer trug und am Schluss in vierfachen Piano langsam erstarb.
Das war eindrucksvoll und hier wartete der Beifall einen Moment des Innehaltens ab. Und er war überaus verdient.
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