Als „Previoulsy on...“, also als „Was bisher geschah“ bezeichnet der Germanist Stefan Börnchen Wagners Rheingold, denn der Vor-Abend liefert die Vor-Geschichte zum „eigentlichen“ Drama, den drei Ring-Tagen. Diese Vorgeschichte wäre auch komprimierter zu erzählen gewesen. Wagner hätte sie in den ersten Teil des Rings einfließen lassen können. Figuren hätten die Vorgeschichte dann nacherzählt – Wotan oder Loge zum Beispiel. Aber Wagner entschied sich dagegen. Er ZEIGT uns die Vorgeschichte. Er zeigt uns, wie Alberich der Liebe entsagt für den Erhalt des Rings. Er zeigt uns, wie die Liebesgöttin Freia mit Gold aufgewogen wird. Wir erleben mit, wir staunen in Bestürzung, wir erleiden. Was für eine kaputte Götterwelt! Was für kalte Herzen! In – nach Wagner'schen Verhältnissen immerhin schlanken – zweieinhalb Stunden werden im Rheingold eindrucksvoll all jene großen Konflikte entfacht, die durch den gesamten Ring wüten sollen. Es geht um Liebe, Kapitalismus und Natur – „Was bisher geschah“ in der nordischen Mythologie.
Die Oper Frankfurt nimmt ihren 2012 vollendeten Ring zum Abschluss der Spielzeit 2015/16 noch einmal auf. In der Inszenierung von Vera Nemirova gibt es für das Rheingold dabei vor allem viel Ring. Während zu Beginn der Oper das Kontra-Es im Orchestergraben knurrt und grummelt, fallen in einer Video-Projektion (Bibi Abel) vereinzelte Tropfen auf eine stille Wasseroberfläche. Das Blau zieht weite Kreise. Erst nach und nach kommt unter dieser Projektion in Überblendungen eine blaue Scheibe zum Vorschein. Diese Schreibe ist die Bühne. Die Scheibe ist aber auch: die Welt. Sie besteht aus konzentrischen Stahlringen, die sich zusammen, aber auch einzeln bewegen können. Die Ringe sind dem Bühnengeschehen dabei Vorder- und Hintergrund, Untergrund und Oberfläche. Jens Kilian schafft ein bewundernswert minimalistisches und dabei so effektvoll benutzbares Bühnenbild, dass es dieses Frankfurter Rheingold von Anfang an dominiert.
Unspektakulär verhält sich dazu Nemirovas Inszenierung. Wenngleich sie Plakatives vermeidet und sich dennoch einer klaren Erzählstruktur verpflichtet, setzt die Interpretation auf Altbekanntes. So rollen und springen die drei Rheintöchter (Jessica Strong, Jenny Carlstedt und Katharina Magiera) in silbernen Paillettenkleidern über die ringförmigen Wellen, tanzen im Goldflitterregen und harmonieren mit ihren sonnenhell bis bronzefarben Stimmen dabei ganz wunderbar miteinander. Ihr Räkeln und Necken reicht jedoch nicht über Albernheiten hinaus; wie so oft wirkt die Inszenierung an dieser Stelle wie ein Zitat.
Wenn die Frankfurter Wiederaufnahme nichtsdestotrotz zum lustvollen Erlebnis wird, ist dies den stimmlich wie schauspielerisch herausragenden Leistungen einiger Sänger zu verdanken. So liefern James Rutherford als Wotan mit warm getöntem Bariton und Tanja Ariane Baumgartner als Fricka mit klarem, hervorragend artikuliertem Sopran zwar ein überzeugend solides und technisch einwandfreies Götterpaar, stimmgewaltig katapultiert eine alles überragende Lise Davidsen als ungestüme Kindsfrau Fricka beide jedoch in den Schatten. In der anspruchsvollen Rolle des Alberich überzeugt Jochen Schmeckenbecher als gnadenloser Peitscher im goldenen Anzug ebenso wie als geknebeltes Häuflein Elend. Alle Herzens des Publikums aber erobert Loge: Ein turnerisch fitter und stimmlich agiler Kurt Streit gibt ihn mit der spitzbübischen Harmlosigkeit eines Berufslügners, souverän in allen Lagen, frei von metallischem Forcieren und mit stets genug Luft zum schelmischen Spiel.