Die Schöpfung von Joseph Haydn (Hob. XXI:2) wurde im April 1798 unter der Leitung des damals 66-jährigen Komponisten in Wien uraufgeführt. Diesen denkwürdigen Abend beschrieb ein schwedischer Musiker in seinen Memoiren wie folgt: „Zwischen den Abschnitten brach jedes Mal stürmischer Applaus aus. Während der Abschnitte herrschte Todesstille. Am Ende der Aufführung riefen einige: ,Wir wollen Papa Haydn!‘ Schließlich kam der alte Mann auf die Bühne und wurde laut begrüßt: ,Es lebe Papa Haydn! Es lebe die Musik!‘.
Wenn je einer der an diesem Abend im Münchner Herkulessaal anwesenden Musiker seine Memoiren schreiben wird, dann könnte er wohl von ähnlicher Begeisterung berichten. Zwar rief niemand „Papa Haydn“, aber die „Bravo“-Rufe brandeten bereits nach dem ersten Abschnitt auf. Und am Ende konnten sich nur noch wenige Zuhörer in den Sitzen halten. Selten hatte man das großartige Meisterwerk des Übervaters der Wiener Klassik lebendiger und eindrucksvoller gehört – und gesehen. Denn es war nicht nur ein Ohren- sondern auch ein Augenschmaus, wenn man in die konzentrierten und vor Freude strahlenden Gesichter der Musiker des Originalklangensembles Il giardino armonico und der perfekt eingestellten Sängerinnen und Sänger des Chors des Bayerischen Rundfunks unter Leitung des engagierten Giovanni Antonini blickte. Auch die Solisten zündeten ein Feuerwerk der Interpretationskunst, sängerisch, mimisch, und mit wohldosierten Gesten. so geriet diese Aufführung quasi zum Gegenteil einer konzertanten Opernaufführung, will meinen, einem mit lebendiger Bühneninteraktion fast szenisch sich manifestierendem Oratorium. Die Ouvertüre, in der Haydn die Kadenz zur Grundtonart bis zum Ende vermeidet und eine durch diverse andere musikalische Mittel eine Klimax hin zum lichthellen Urknall und dem Beginn der Welt imposant erzeugt, erzählte nicht nur von der Finsternis und dem über den Wassern schwebenden Geistern. Die Szene entstand gar vor den Augen des Publikums. Und als dann die Streicher ihre Dämpfer abnahmen, um den ersten göttlichen Lebensfunken musikalisch zu feiern, da gab es kein Halten mehr und die italienischen Pioniere historisch informierter Aufführungspraxis zeigten wieder einmal, wie erquickend und erfrischend „alte“ Musik klingen darf.
Der österreichische Bariton Florian Boesch begann sodann als Raphael die Schöpfungsgeschichte zu erzählen, und entpuppte sich schnell als primus inter pares der exquisiten Solisten. Wiewohl diese Wahl nicht leicht zu treffen war. Bei Boesch jedoch tobten die Stürme, rollte der Donner und durchschnitten die Blitze die Luft bereits im ersten Rezitativ so eindrucksvoll, dass fortan der höchst versatile Bassbariton den musikalischen Anspruch des Abends definierte. Diesem Anspruch wurden die Sopranistin Anna Lucia Richter und der Tenor Maximilian Schmitt wahrlich gerecht. Richter sang schnörkel- und makellos, für manche Ohren vielleicht zu glattpoliert. Wenn Liebhaber der historischen Aufführungspraxis sich hie und da am Ende eines hohen Tones ein kleines versüßendes Vibrato gewünscht hätten, dann will das schon etwas heißen. Das war aber auch alles, was man an ihrer Darbietung diskutieren konnte. Neben ihrer stimmlichen Glanzleistung war es vor allem die Anmut und die schelmische Grazie Richters, welche das Publikum ein ums andere Mal zum Lächeln und zum Glucksen brachte. Als sie im zweiten Teil des Oratoriums vom Lied der Lerche, der girrenden Liebe sang und dabei elegant im Takte der Musik tänzelte, da wähnte man sie vor lauter heiterer Leichtigkeit fast hinauf in die Arme des auf den Wandteppichen des Konzertsaals verewigten Herkules schweben. „Aus jedem Busch und Hain erschallt […] ihr reizender Gesang.“