So langsam kommt schon ein wenig Bayreuth-Stimmung auf. Zwar liegt die Frankfurter Oper keineswegs im idyllischen Grünen, sie steht am Rande des Bankenviertels. Hochhäuser kann man hier beim Überragen und Protzen beobachten, wenn man während der Opernpause ins Freie tritt. Die Euro-Skulptur von Ottmar Hörl glimmt dann über dem Willy-Brandt-Platz in den Sommerabend, zu ihren Füßen hocken rauchende Fahrradkuriere und knutschende Pärchen, dazwischen auch immer wieder Obdachlose. Eine – zugegeben – skurrile Festspielstimmung ist das, wenn sich das Frankfurter Ring-Publikum in den Pausen hier versammelt. Das stört aber, mit der staubigen Salzbrezel in der einen und dem Glasfläschchen Sprudelwasser in der anderen Hand, kaum jemanden. Zufrieden schlürft, kaut und plaudert man ein wenig, lästert, lächelt, nickt. Beim Zusehen wird schnell klar: Hier erlebt eine zu großen Teilen eingeschworene Gemeinschaft die Wiederaufführung des 2012 vollendeten Frankfurter Rings. Doch das Spektakel rechnet sich. Am vergangenen Freitag bespielte Siegfried – wie auch schon das Rheingold und die Walküre – ein ausverkauftes Haus.
Neben Publikumsinteresse trägt in Frankfurt außerdem das Bühnenbild, Jens Kilians schräge Scheibe, als optische Klammer durch alle vier Ring-Abende. Sie besteht aus konzentrischen Stahlringen, die sich zusammen, aber auch einzeln bewegen können. Durch Drehen, Kippen und Auffächern der Ringe enstehen damit auch im Siegfried eindrückliche Vorder- und Untergründe, Abgründe und Oberflächen. So schmieden Zwerg Mime und Findelkind Siegfried im ersten Akt unten das magische Schwert Notung, während Siegfried im letzten Akt dann oben Brünnhilde aus dem Feuerkranz befreit.
Lange Zeit bleibt die Bühne im Siegfried jedoch enttäuschend unverändert. In diesem (mit Pausen) fünfstündigen Gewaltwerk, das dramaturgisch die ohnehin undankbarste Oper des gesamten Zyklus darstellt, optisch so wenig passieren zu lassen, steht der Inszenierung von Vera Nemirova schlecht. Zwar bleibt ihre Absicht, durch Reduktion des szenischen Zierrats eine Konzentration auf die Figuren zu erzielen, erkennbar, leider jedoch unausgereift. So blicken wir in Mimes dunkle, von Neonröhren schwach erleuchtete Schmiedehütte, in der ein Amboss freilich nicht fehlen darf, hier auch nicht fehlt, aber doch eher mickrig ausfällt, ebenso das Hämmerchen, mit dem Mime und Siegfried am Schwert herumwerkeln.
Die Um-den-Kopf-Wette zwischen Wanderer-Wotan und Mime bringt dramatische Spannung auf die Szene: James Rutherford avancierte als stimmgewaltiger Wotan dabei schnell zum Publikumsliebling, der am Ende mit besonderem Applaus bedacht werden sollte. Von sattem Timbre und reichem Vibrato gekennzeichnet stand ihm die Rolle ausgezeichnet, er wusste ihr den passenden epischen Atem zu verleihen. Auch wenn sich Peter Marsh als Mime Rutherford gegenüber als weniger voluminös erwies, überzeugte er neben ihm durch klare Artikulation und jugendliche Flexibilität.
Obwohl sich Vincent Wolfsteiners Siegfried mit ungemein kräftig gesungenen, markanten Schmiedeliedern stimmlich an diese intensive Auseinandersetzung anschloss, blieb von der nachfolgenden Schmiedeszene ein ambivalenter Eindruck. Seltsam ungelenk wirkte Wolfsteiners Schmiedetanz mit den kümmerlichen Requisiten. Nichtsdestotrotz beeindruckten durchweg die Leichtigkeit, mit der er die Kraft-Partie meisterte, sowie seine ansonsten ausgezeichnete Bühnenpräsenz. Mit ihr setzte Wolfsteiner die Siegfried-Figur stimmlich gekonnt um als ungestüm-unbedarften Junghelden, der nie ins Pathetische verflachen zu drohte, sondern stets die tragische Brechung bereits anzudeuten vermochte.