Der erste Zyklus zum Amtsantritt Paavo Järvis als Musikdirektor des Tonhalle-Orchesters Zürich ist den Werken von Tschaikowsky gewidmet. Die Initialzündung mit der Fünften Symphonie und Francesca da Rimini konnte noch vor der Corona-Zäsur stattfinden, dessen Resultat der Dirigent wie folgt beschreibt: „Ich habe versucht, mit dem Tonhalle-Orchester Zürich einen grundlegend neuen Ansatz in der Interpretation der so bekannten Klänge zu finden“. Da die Pandemie noch weiter andauert, Publikum, Orchester und Dirigent ihre Reise mit dem Komponisten aber in drängender Neugier fortsetzen wollen, wurde ein Livestream eingerichtet, mit dem zur passenden Jahreszeit zur Symphonie Nr. 1 geschritten wurde, die allerdings mit der unabhängig vom meteorologischen Aspekt intendierten Fantasieanregung in existenziell bedrohten Umständen mit der Aktualität übereinstimmte. Den „Winterträumen” beigestellt war zudem das Capriccio Italien, mit dem wiederum auf die tatsächlich touristische Aktivität Tschaikowskys geblickt werden konnte.
Das alle Dunkelheit überwindende Programm startete allerdings mit dem Feierlichen Krönungsmarsch. Und damit selbstprophezeiend? Ja, denn für das TOZ und seinen ganz überwiegend brillanten Tschaikowsky könnte es keinen stimmungsvolleren und die Aussage Järvis unterstreichenderen Einstand in das neue Jahr gaben als diesen Pomp für Zar Alexander III., der eine Huldigung für die den Auftritt herbeisehnenden Musiker und an alle wahren Königinnen und Könige in der heutigen unglaublichen Zeit der Krise wurde. Größte Spielfreude sprang da aus allen Sektionen über den Bildschirm in die Sessel und Synapsen daheim, die auf Geist und Ohr wie eine Frischzellenkur wirkte. Wann lässt sich das schon einmal über ein martialisches Prunkstück sagen?!
Aufgeweckt riefen die Bläser im Capriccio anschließend noch zu einem weiteren Appell, dem der römischen Kaserne. Und wenn er so akkurat erklang wie von der eidgenössischen Truppe in der Tonhalle Maag, dann mag man sich gut vorstellen, wie der Tourist die Aufwachfanfaren als Ansporn für den Tag genommen hat. Die Streicher gaben dabei ihriges, die warm-knackige Grundbalance mit Leidenschaft zu füllen, ohne den gefundenden Orchestersound durch zu breit Gequollenes wieder zu Brei zu schlagen. Die aufgeschnappte italienische Temperamentsbeschau und Idiomatik entfaltete sich so viel feinfühliger und eleganter, schließlich mit Oboe, Flöte und Bässen derart sinngespitzt, dass die Lust auf ein erstes Tänzchen in der Morgensonne nachvollziehbar und ohne schweren Bauch oder Schädel reifte. Mit der zuträglich befreienden Gemütlichkeit hörte man nach und nach die weiteren, flotteren Melodien bis zur karnevalistischen Tarantella, die in den Straßen zirkulierte oder mit dem Land verbunden wird. Die ausgelassenen Eindrücke sollten in einem fulminanten Fernweh-Rausch münden, der in passepartouthafter Eminenz nicht größer ging als in diesen beladenen Monaten.