Auf dem Weg zum Bayerischen Staatstheater in dieser Spielzeit: dass das Theater Regensburg immer wieder herausfordernde Opernwerke auf die Bühne bringt, hat es in der Vergangenheit eindrucksvoll bewiesen. Zum Saisonauftakt haben sich Intendant Sebastian Ritschel und sein Team John Coriglianos großes Opernspektakel The Ghosts of Versailles vorgenommen. Corigliano hatte zehn Jahre an seiner ersten Opern-Komposition gearbeitet, 1991 wurde das Auftragswerk zum 100-jährigen Bestehen der Metropolitan Opera in New York uraufgeführt. In Deutschland ist es seitdem nur einmal in Hannover inszeniert worden; zur zweiten deutschen Inszenierung war bei der Premiere sogar der inzwischen 87-jährige Komponist zu Gast.
Vom dritten Teil La Mère coupable der berühmten Figaro-Trilogie des Pierre Augustin Carin de Beaumarchais ausgehend, schrieb Coriglianos Librettist William M. Hoffman ein aufwendig ausgestattetes Pasticcio, welches die Rollen aus Barbier und Figaro mit den damals zeitgenössisch revolutionären Ereignissen am französischen Hof verquirlt. Zu Figaro, Susanna, Rosina und Graf Almaviva gesellen sich so weitere Nachkommen, aber eben auch die toten Seelen Ludwigs XVI. samt Marie Antoinette und deren Hofstaat. Hoffman erfand dazu eine „Phantomwelt“, in der die Geister von Beaumarchais’ Figuren wohnen ebenso wie Versailler Aristokraten. Zur verwirrenden Geschichte trägt auch noch die unglückliche Liebe von Léon, unehelicher Sohn von Rosina und Cherubino, und Florestine bei, illegitime Tochter des Grafen und einer unbekannten Dame. Eine Gedächtnisstütze für die Zuschauer immerhin, dass alle (mehr als 30!) Mitwirkenden in der Reihenfolge ihres Auftretens im lesenswerten Programmheft gelistet sind.
Kein Mangel an positiver Komplexität also. Als einrahmende Klammer fungiert eine einseitige Liebesgeschichte von Beaumarchais zu Marie Antoinette, die diese nicht erwidert, dafür mit ihrer Hinrichtung hadert. So muss Beaumarchais in sein eigenes Stück eintreten und Figaro zur Fortsetzung der Handlung und Befreiung der geliebten Königin zwingen. Da wird sogar der Prozess gegen Marie Antoinette neu in Szene gesetzt, um Figaro, den Antimonarchisten, vom Unrecht des Urteils zu überzeugen. Mit dem Erlös eines höchst wertvollen königlichen Halsbands, das dann durch geheimnisvoll viele Hände und sogar die türkische Botschaft samt Harem geht, soll danach die royale Flucht, deren Plan sogar historisch belegbar ist, finanziert werden. Da verschmelzen Schattenreich und reales Paris dieser Zeit. Marie Antoinette, von Beaumarchais’ Liebe berührt, willigt posthum in ihre Historie ein: „Du hast gezeigt, dass Akzeptanz der einzige Weg zur Freiheit ist.“
Fast zu viel Drama für eine Opera buffa, wie man sie von Rossinis Barbier kennt, zu umfangreich das orientalische Gewürz des Bauchtanzes vor dem beleibten Pascha. So bezeichnet Corigliano sein Werk geschickt auch als Grand opéra buffa, die französische Form etwa eines Giacomo Meyerbeer im Sinn. So mischt er aufregend Stile, Zitate und Ensembles zwischen Mozart und Rossini mit hochromantisch melodischen, vokalen Linien bis zu neoklassizistischen Klängen eines Igor Strawinsky. Unbändige Lust auf Parodie: da erschreckt er die Hörer in der Einleitung mit schrägen Schleiftönen eines Synthesizers, und wenig später amüsieren sich im türkischen Gemach alle beim Herabfliegen einer Walküre aus dem Bühnenplafond, zu vertraut wirkenden Klängen reitend: „Das ist keine Oper! Wagner ist Oper!“