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Bachkantate Ach, wie flüchtig, ach, wie nichtig, BWV26

Von , 19 November 2024

Wie lange Johann Sebastian Bach seinen Freund, Taufpaten seines zweiten Sohnes sowie hochgeschätzten und aufgeführten, mal als Vorlage und Inspiration genutzten Kollegen Georg Philipp Telemann wirklich nachweislich persönlich kannte, wäre nochmals ein interessanter Gegenstand einer konkreten Untersuchung. Hier dazu nur so viel: Habe ich in früheren Beiträgen bereits erwähnt, dass Bach Telemanns Wirken ab 1701, in Leipzig physisch anwesend 1711, verfolgt haben muss, wird eine Begegnung der beiden in der Bach-Heimatstadt Eisenach, wo Telemann ab 1708 tätig war, stark vermutet.

Die Frage nach diesem historischen Umstand des mit Telemann in seiner Zeit bekanntesten und verehrtesten deutschen Komponisten, dessen Ruhm nach seinem Tod allzu schnell verflog, und bei Bach demjenigen, der diese Rolle danach und bis heute als Barockstar überhaupt ausfüllen soll, kam mir in den Sinn, als ich mich mit der Bachkantate Ach, wie flüchtig, ach, wie nichtig, BWV26, beschäftigte. Und mit der eine Verbindung auf die in dieser Bachtrack-Reihe zuerst vorgestellten Kantate Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit, BWV106, hergestellt werden kann.

Schließlich behandelt im Gedenkmonat November die für den 24. Sonntag nach Trinitatis komponierte Kantate – Bach hatte in Weimar mal ein Mini-Orgelpräludium notiert – die Feststellung der Vergänglichkeit des Irdischen und des Schicksals des schnellen Laufs der Zeit, liegt die Vorstellung der Kantate BWV106 auch schon wieder über drei Jahre zurück. Telemann hatte um 1700 als Hildesheimer Gymnasiast (!) einen wunderschönen Trauer-Actus auf das herbst-bildsprachliche Kirchenlied Michael Francks Ach, wie flüchtig, ach wie nichtig komponiert. Er verwendete dabei allerdings – wie in sämtlichen erhaltenen drei weiteren Beispielen – als Beginn und damit Titel die gerade Strophe Francks Dichtung, die stets mit „Ach, wie nichtig, ach wie flüchtig“ einleitet, selbst dann, wenn sich Telemann auf ungerade Strophen bezieht.

Verblüffend ist die gewisse Ähnlichkeit Bachs frühestens 1707 selbst aufgesetzten Trauer-Actus‘ mit dem Gewand Telemanns. Wollte Bach deshalb am 19. November 1724 für seine neue, in fortgeschrittenem Stil gehaltene Kantate nun trotz individuell erkennbarer Musiksprache jede Verwechslung vermeiden, als er sich mit seinem Librettisten, der allerdings eben, wie Telemann, die Franck’schen Naturmetaphern in eigene Worte umschrieb, neben der Verarbeitung der übrigen Passagen für die Benutzung der ersten und dreizehnten Strophe Francks Liedes entschied?

Im ersten Satz und Coro singt sie der Sopran – instrumental vom Horn unterstützt – im cantus firmus, während die restlichen Stimmen mit der kurzen, knapp versetzten Wiederholung dazu in die Fantasie des Tuttiorchesters aus Streichern, Continuo, drei Oboen und Traverso hasten. Wenn Bach aber auch hier etwas von Telemann generell „abguckte“ – freilich nicht exklusiv –, ist es das beim Spielen logisch übersetzte Erscheinungsbild der Noten, die die Vergänglichkeit bereits äußerlich dokumentieren. So natürlich – bis auf den einfachen Choral, besagte dreizehnte Strophe nach dem Sopranrezitativ – die sich durchziehenden Sechzehntel und Achtel, im Altrezitativ „Die Freude wird zur Traurigkeit“ Zweiunddreißigstel, die den Jubel über die erreichten Güter durch verwelkende „Blume“ und den Blick aufs „Grab“ nehmen.

Für die beiden Arien im von Bach favorisierten Format der Sechssätzigkeit also gesprochen: fließende Abwärtsskalen und „Tropfen“ der Traversflöte in der Tenorarie „So schnell ein rauschend Wasser schießt“ im typischen 6/8-Takt; das ebenso bekannte Warnen und Mahnen eines Oboentrios in der Bassarie „An irdische Schätze das Herze zu hängen“. Schätze sind gute Freundschaft dennoch sowie mit aller theologischen Ernsthaftigkeit Bachs und Telemanns Werke sowohl auf Erden als auch droben mit dem Himmelsorchester.