2003, als Müpa Budapest lediglich eine Betonhülle war, saß sein Architekt Gábor Zoboki mit dem Dirigenten Ádám Fischer in dem Raum, der später zum Nationalen Béla Bartók-Konzertsaal werden sollte. „‚Gábor’, sagte er zu mir, ‚das ist Walhalla. Hier müssen wir Wagner spielen.’” In den folgenden Jahrzehnten wurden die alljährlichen Budapester Wagner-Tage ein wichtiger Teil der Musiklandschaft der Stadt.
Zoboki hatte die Ausschreibung für das Design eines neuen Kulturzentrums gewonnen, das die Sammlung zeitgenössischer Kunst des Ludwig-Museums beherbergen sollte. Zoboki ist studierter Architekt und leidenschaftlicher Musiker. Seine Liebe zur Musik blühte in der Tanzhausbewegung der 1970er auf, als ungarische Volkstanzhäuser ein Zentrum des Widerstands gegen das kommunistische Regime wurden, das das Kulturleben dominierte. Zoboki wurde von Kodály-Schülerin Magda Thománé Molnár am Klavier unterrichtet; er sang in Chören und dirigierte sie, er komponierte. Und er war überzeugt davon, dass Budapest ein neues Konzerthaus brauchte.
„Jeder kennt die Liszt-Akademie. Sie hat einen fantastischen Kammermusiksaal für Wiener Klassik, aber die Akustik passt nicht zu Schostakowitsch oder Bruckner, oder Mahler. Und jeder wusste, dass Ungarn, das Land der Musik, noch nie die Gelegenheit gehabt hat, einen Saal zu bauen, in dem man Bartóks Concerto spielen konnte.”
Die ungarischen Kulturoberen erlebten dahingehend ihr blaues Wunder, denn Zoboki lobbyierte unermüdlich für einen symphonietauglichen Saal im neuen Kunstzentrum. Er holte sich Topmusiker wie Fischer, András Schiff und den einflussreichen Zoltán Kocsis, Musikdirektor der Ungarischen Nationalphilharmonie, zu Hilfe. „Der Job eines Architekten ist es, die Entscheidungsträger zu lenken”, erklärt Zoboki. „Ich habe eineinhalb Jahre lang auf der Seite des Verkaufsteams gearbeitet, um deutlich zu machen, dass dieser Konzertsaal in Stile der Romantik des 19. Jahrhunderts in der Nachbarschaft des neuen zeitgenössischen Museums gebaut werden musste. Und irgendwie hatte ich damit Erfolg.”
Zoboki verstand Konzertsäle. Im Rahmen seiner Abschlussarbeit führte er eine lange Studie („mit der ich Sie nicht quälen möchte”) zur Funktionsweise von La Scala, Bayreuth und anderen großen Konzertsälen der Vergangenheit durch. Das Thema, das ihn noch immer am meisten fasziniert, ist, wie Architektur, Innenausstattung und Akustik im 19. Jahrhundert gehandhabt wurden, und wie man diese Tradition im 21. Jahrhundert fortführen könnte.
Für Zoboki beginnt der Designprozess eines Konzertsaales mit dem vorgesehenen Programm. „Ich habe über fünfzig Interviews mit Musikern und allen Beteiligten geführt – der Leitung des Budapester Frühlingsfestivals, Kulturministern, Chorleitern, allen. Nach und nach habe ich ein Programm zusammengestellt. Ich hebe das besonders hervor, denn ohne ein gutes Programm hat man am Ende vielleicht ein schönes Gebäude bekommen, das aber unbrauchbar ist: davon gibt es in China, Japan und sogar Westeuropa genug Beispiele. Und in einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern, wie viele Sitzplätze braucht man in einem Saal dieser Art in den nächsten 25 Jahren? Ich begann erst, am Design zu arbeiten, als wir eine genaue Vorstellung vom musikalischen Programm hatten.” Es gab Musik, die in anderen Sälen in Budapest nicht gespielt werden konnte, Saint-Saëns’ und Respighis große Orgelsymphonien zum Beispiel. Der neue Konzertsaal würde also eine große Konzertorgel brauchen, denn während des Kommunismus waren die Orgeln in Ungarns Kirchen und Kathedralen richtiggehend verfallen.
Es wurde klar, dass der Saal in der Lage sein musste, viele verschiedenen Musikrichtungen mit grundlegend unterschiedlichen Anforderungen zu bedienen: „Wenn Grigory Sokolov hier herkommt, muss man in ein und demselben Raum eine gute Reaktion auf ein Rezital bekommen, in dem auch Wagnerliebhaber Die Walküre genießen können.” Also begann Zoboki, so viele Musiker wie er nur finden konnte zu befragen, was für sie einen Saal von Weltklasse ausmacht. Er sprach mit Christian Thielemann (jetzt Chefdirigent der Staatskapelle Dresden). Er besuchte Bayreuth, wo Fischer einen Ring und Parsifal dirigierte. Zoboki verehrt Fischer als „einen der besten und kontemplativsten Dirigenten – in seinen Händen ist Der Ring des Nibelungen nicht zu vergleichen, sei es auch Bayreuth, Paris oder Wien.” Als Fischer den Saal besuchte und erklärte, er sollte sein Walhalla sein, war das für Zoboki ein Moment, der sein Leben veränderte.
Für Wagner, das wusste er, brauchte er einen ausgezeichneten Orchestergraben. Die Lage des Grabens unterhalb der Bühnendecke, ein Drittel in den Saal hinein, hat konzertante Opernproduktionen zu einem viel besseren Erlebnis gemacht als das typische Konzertlayout eines Orchesters, das hinter den Sängern sitzt: „Turandot und Traviata sind viel besser mit dem Orchester im Graben, denn das Klangverhältnis zwischen Graben und Bühne ist ausgewogener.” Aber der Nationale Béla Bartók-Konzertsaal ist kein gewöhnlicher Wagnersaal, denn Zoboki und Fischers Ansatz weicht von Bayreuther Ideal des gemischten Orchesterklangs ab. Müpa ist das genaue Gegenteil, so Zoboki, mit einem „analytischen” Klang: „Der Grund, aus dem man Wagner in Müpa hören will, ist der, dass man alle Töne hört, die Wagner geschrieben hat, was so nicht üblich ist, weder in Bayreuth noch in einem anderen Opernhaus.”
Erwartungsgemäß war das akustische Design ausschlaggebend. „Akustik ist heutzutage keine realistische Wissenschaft. Die ehrlichen Akustiker geben zu, dass die Funktionsweise eines Konzertsaals zu 50% Glückssache ist.” Zoboki sieht es als unglaublichen Glücksfall, mit dem nun verstorbenen Russell Johnson gearbeitet zu haben, den er als starken Einfluss und „seinen zweiten Paten” beschreibt. Er prangert die typischen Konversationen zwischen „blinden Akustikern und tauben Architekten” an, in denen erstere nur an akustische Elemente und letztere lediglich über die Ästhetik denken; seine „berufliche Ehe” mit Johnson war ideal, denn „ich bin ein Musiker und er war ein Architekt”. Drei Jahre lang trafen sich die beiden jeden Monat, entweder in Budapest oder in New York, und arbeiteten an jedem Detail „vom Klavierlift bis zu den Grabenarrangements, von Figaro bis Parsifal. Russell hatte einen Veränderlichkeitswahn: ’Gábor, dir muss klar sein, dass in 20 Jahren nicht so viele Mozartkonzerte in Budapest gespielt werden wie im Jahr 2000.’”