Wenn Roman Gerber davon spricht, wie er sein Instrument, die Klarinette, entdeckt hat, umweht die Geschichte ein Hauch von etwas Märchenhaftem. „Ich habe klassisch mit der Blockflöte angefangen, aber als ich mir ein neues Instrument aussuchen durfte, kam ich in das Wunderland Musikschule.“ Streichinstrumente kommen für Gerber nicht in Frage, der Ertrag, den die Kinder trotz der vielen Arbeitsstunden aus den Instrumenten holten, erschien ihm ein karges Ergebnis. „Hinter einer Tür gab es aber einen Klang, der mir so überhaupt nicht geläufig war“, erzählt Gerber.
Mit seinem ersten Lehrer, Stefan Komarek, verbindet der heute 29-Jährige immer noch eine gute Freundschaft. In der Starnberger Musikschule lernt Gerber bei Komarek nicht nur das Klarinettespielen, er bekommt auch einen Einblick darin, was Kunst bedeutet. Mit seinem Lehrer unterhält er sich über neue Inszenierungen an der Oper in München, bekommt Buchempfehlungen, lernt, welche Verbindungen es zwischen Alban Berg und Thomas Mann gibt. Es ist eine Zeit, die ihn auch heute noch prägt.
Vielleicht liegt darin auch begründet, dass Gerber, der im Zuge des Programms stART.up der Claussen-Simon-Stiftung gefördert wird, heute ein besonderes Interesse daran hat, das schmale Repertoire für die Klarinette zu erweitern. Und das, obwohl er das gut bekannte sowieso schon bis in jeden Winkel ausgekundschaftet hat. Sei es als Solist mit Orchester oder als kammermusikalischer Partner im Duo oder Trio mit der ungewöhnlichen Besetzung aus Klarinette, Fagott und Klavier, sein Repertoire reicht von den frühen Anfängen der Klarinettenliteratur eines Carl Stamitz bis zur amerikanischen Moderne mit Bernstein und Copland. Der Vorteil des Repertoires der Klarinette sei, dass viele Komponisten erst sehr spät in ihrem Leben Werke für Klarinette geschrieben hätten, erklärt Gerber. „Deswegen sind die Stücke fast durchweg von hoher musikalischer Qualität. Der Nachteil ist, dass es deswegen aber auch nur ein sehr kleines Repertoire gibt.“
Deshalb begibt er sich regelmäßig auf eine „Schatzsuche“, bei der es ihm darum geht, einen Blick über die üblichen Verdächtigen der deutschen oder französischen Romantik hinauszuwerfen. Mit seinem Duo-Partner Oliver Bunnenberg nutzt Gerber gerade das erzwungene Sabbatical, wie er es nennt, um das russische Repertoire zu durchkämmen. Eine wahre Schatzkammer, obwohl die russische Musikgeschichte doch vergleichsweise kurz sei, sagt Gerber: „Das ist das immens Spannende für mich, Werke zu entdecken, von denen keiner bisher wirklich Notiz genommen hat, die aber durchaus gegen das Repertoire von Schumann oder Brahms anstinken können.“ Und neben der Romantik gibt es auch diejenige Musik, die im Russland des 20. Jahrhunderts verschwand, weil sie den Musikvorstellungen der Sowjetideologen nicht in den Kram passte. Dabei sei dieses Repertoire eine wunderbare Ergänzung zur zeitgenössischen Musik, wenn nicht gar ein musikalisches Schwergewicht in sich, findet Gerber.
Einen genauen Schlüsselmoment, ein Erlebnis, das Gerber klar gemacht hätte, er wird eine Karriere als Musiker machen, habe es für ihn nicht gegeben, sagt er. Eine Alternative wäre wohlmöglich ein Jurastudium gewesen, weil ihn das logische Argumentieren reizte. Stattdessen zieht Gerber, der bereits Jungstudent an der Musikhochschule in München war, nach Lübeck und studiert bei Sabine Meyer, der herausragenden Klarinettensolistin unserer Zeit, sowie ihrem Ehemann Reiner Wehle. Wenn Gerber über seine Studienzeit bei den beiden spricht, kann man die Dankbarkeit hören, die er gegenüber seinen Lehrern verspürt. „Ich hätte bei keinem anderen studieren wollen“, sagt er. Das lag vor allem daran, dass jeder Student mit seinen Stärken und Schwächen wahrgenommen wurde. Gerber erzählt, dass er lange Zeit Schwierigkeiten mit dem Staccato-Spiel gehabt habe – ein Kernelement für den perlenden Klang der Klarinette. „Dann kam oft ein Anruf von Reiner oder Sabine, dass sie gerade 20 Minuten Zeit haben, um gemeinsam mit mir noch mal an meinem Staccato zu arbeiten.“ Das Studium in Lübeck bezeichnet Gerber als eine grundsolide Ausbildung im besten Sinne. Denn auch ohne den Druck einer permanenten Drillsituation hat Gerber die Souveränität über sein Instrument verinnerlicht: „Ich weiß auch nach drei Wochen Urlaub ohne Klarinette sofort wieder, wie ich an mein Instrument herangehe und welche Übestrategien ich brauche.“ Solche Aussagen macht Gerber nicht, um sein Talent herauszustreichen. Es ist die wertfreie Reflexion über die eigenen Fähigkeiten.
Seine Professoren in Lübeck weckten bei Gerber aber auch die Neugier auf die anderen Mitglieder der Klarinettenfamilie, ganz besonders die Bassettklarinette. Das Instrument, das für Mozarts berühmtes Konzert für Klarinette das adäquate Instrument ist. „Den Klang der Bassettklarinette kann man auf der normalen Klarinette nicht zaubern. Bei Mozart im zweiten Satz klingt die Klarinette sehr dicht, die Bassettklarinette klingt da auf einmal sehr seidig, fast schon zerbrechlich.“ Abgesehen von den hohen Klarinetten, die Gerber „Es- und D-Pipse“ nennt, spielt er jedes Mitglied der Klarinettenfamilie. Es geht ihm darum, den Klangkosmos, den die Instrumente bieten, zu erforschen. Und bei seinem Drang nach Neuem, findet Gerber viele Gleichgesinnte. „Wenn ich einem Komponisten anbiete, dass er ein Stück für Bassklarinette schreiben soll, dann bekommt der Augen wie Christbaumkugeln.“ Neben dem körperlichen Aspekt, den die größere und schwerere Bassklarinette mit sich bringt, bewirkt der Wechsel zwischen den Instrumenten die permanente Abwechslung. Stillstand soll es bei Gerber nicht geben. „Ich will nicht, dass ich bei Brahms und Mozart sitzen bleibe“, sagt er. Und selbst die Kompositionen, die er über die Jahre in Auftrag gegeben hat, wandeln sich ständig: „Für mich sind Auftragswerke immer auch Stücke, bei denen ich mich austoben möchte. Früher konnte ich nicht genug davon bekommen, wenn ein Stück klingt wie Fingernägel, die an der Tafel kratzen“, gibt Gerber zu und nennt es seinen persönlichen Sturm und Drang. „Das gefällt mir heute auch noch, aber ich merke, dass ich es mittlerweile auch schätze, wenn es eine Melodie gibt.“ Statt kleinteiliger Klangexperimente sind es heute die Kompositionen, die durch eine Melodie einen großen Bogen schlagen, die Gerber interessieren.