Banales Leben oder doch hehre Kunst? In Richard Strauss' Ariadne auf Naxos soll die Konkurrenz zwischen einer Komödianten-Truppe und ernsthaften Künstlern anfangs nur nacheinander auf der Bühne ausgetragen werden. Wie Hofmannsthals Textbuch und Strauss' Theatergespür beide in die verrückte Idee eines reichen gelangweilten Wiener Mäzens einbeziehen und die heroische Auftragskomposition geschickt verwoben mit leichtfüßigem Lustspiel auf den Theaterboden stellen, halten viele Opernliebhaber für eines der gelungensten Bühnenwerke überhaupt, andere für eine konstruierte, ja verquere und langatmige Reflexion über Kunst und Unterhaltung.
Dominique Horwitz, bekannter Schauspieler, Sänger und zuletzt auch als Regisseur unterwegs, hat mit dem vorzüglichen Ensemble des Mainfrankentheaters einen frappierende Plot erarbeitet, dessen rasante Dynamik nicht nur keinen Augenblick Langeweile aufkommen lässt, sondern zu einem konzeptionellen ebenso wie musikalischen Wunder gerät. Das vom Theaternebel durchwaberte Bühnenbild des Vorspiels, funzelndes Laternenlicht und heruntergekommene Wohnwagen der beiden Künstlertruppen wirken nur im ersten Moment frostig und abweisend. Mit welcher virtuosen Rasanz Horwitz die Schauspieler darin durcheinander agieren, in irrwitzigem Tempo Musiklehrer (Kosma Ranuer) und Tanzmeister (Mathew Habib), Perückenmacher (Taiyu Uchiyama) und Harlekin (Daniel Fiolka) ihre Aufträge schelmisch erledigen lässt, ist geradezu große Kunst einer Commedia dell'arte. Faszinierend, ohne selbstherrliches Pathos gelingen die schauspielerischen Übergänge zu den ernsthaften Künstlern, insbesondere der Figur des jungen Komponisten (Marzia Marzo berührend in ihrer seelischen Zerrissenheit und leidenschaftlichen Sorge um ihren Opern-Erstling Ariadne). Dann aber beginnen sich beide Stücke ebenso geistreich wie originell ineinander zu fügen, insbesondere wenn der grübelnde Komponist überraschende Gefühle für das scheinbar leichtlebige, doch im Innern auch sehr sensible Paradiesvögelein Zerbinetta entdeckt.
Nach der Pause eine handfeste Überraschung, wenn der Orchestergraben verschwunden und die fantasie- und farbenreiche Opernbühne (Pascal Seibicke) zum poesievollen Zirkusrund geworden ist, an dessen Bande alle Akteure permanent am Geschehen beteiligt sind. Die Lichttechnik taucht Bühne wie Zuschauerränge in immer wieder rotierende Lichtfontänen. Mit dem Clou, das Publikum in die Rolle der Festgesellschaft des reichen Wieners schlüpfen zu lassen und die quirlige Lebendigkeit des Vorspiels auf die Oper zu übertragen, bläst Horwitz' Regieeinfall jedweden staubbeladenen akademischen Ernst aus der Szene; selbst leidenschaftlicher Schauspieler charakterisiert er subtil und nuancenreich Melancholie und Verzweiflung der Figuren.
Das Philharmonische Orchester hatte bereits im Vorspiel hinreißend romantischen Klangteppich für die Akteure ausgelegt, mutierte in der Opernszene zum Zirkusorchester, das entsprechend hinter der Manege Aufstellung nahm. Ganz folgerichtig gab Enrico Calesso charmant und mit Übersicht den veritablen Zirkusdirektor, formte einen faszinierend atmosphärischen, kammermusikalischen Ausdruck der Gefühlswirren des mythischen Dramenstoffs. Immer wieder wurde er geschickt in die Bühnenhandlung einbezogen, und selbst für den Haushofmeister (herrlich distinguiert: Georg Zeies), dessen arrogante Noblesse seinem adligen Herrn wohl kaum nachstand, gab es ein unerwartetes Wiedersehen als extrovertierter Ariadne-Fan.