Beim jüngsten Gastspiel des Philharmonia Orchestras London, waren dem Violinkonzert von Brahms und Mahlers Erster Symphonie zwei häufig gespielte Werke zu hören. Dass diese Kompositionen aber vielschichtig genug sind, um immer wieder aufgeführt zu werden, unterstrich dieses Konzert eindrucksvoll. Der erste Teil des Abends gehörte Julia Fischer als Solistin des Brahms-Konzertes; im zweiten Teil wusste Esa-Pekka Salonen sein Orchester, dessen Chefdirigent er seit der Saison 2008/2009 ist, hingebungsvoll zu leiten.
Hartnäckig hält sich das Klischee, Brahms habe sein Violinkonzert nicht für, sondern gegen die Geige geschrieben. Er selbst ist an solchen merkwürdigen Urteilen über sein Werk nicht unschuldig. Es schien aber, als wäre die Geigerin auch angetreten, das Konzert zu spielen, um diese Einschätzung zu relativieren. Sie überließ nichts der spontanen Eingebung, und doch wirkte ihre Aufführung sehr lebendig. Mit ihrer Leichtigkeit im Spiel stellte Fischer dem oft so übertrieben schwerblütigen Brahms-Spiel eine kluge Alternative entgegen, die der gesamten Aufführung gut tat.
Ihr so kraftvoller wie biegsamer Ton erlaubte es ihr, mit großer Geste in ihrem Entrée, nach der etwas hölzern vorgetragenen Orchesterexposition, wie von einem Sturm getrieben in das riesenhaft angelegte Thema zu gelangen. Das Thema selbst wusste sie sehr einfach kantabel vorzutragen. Der Aufbau des Konzertes ist durch seinen Motivreichtum verwickelt, doch behielt sie stets die Übersicht, um den Hörer durch eine große Erzählung zu führen. Mit dem Orchester suchte die Geigerin keinen Wettstreit, sondern, der Komposition entsprechend, einen Ausgleich, was besonders am Ende des Kopfsatzes deutlich wurde. Mit all ihrer Kunst des leuchtenden Espressivo gestaltete Fischer die Kadenz Joseph Joachims und intonierte das Hauptthema harmonierend mit dem dunkel getönten Orchester.
Im zweiten Satz darf die Oboe singen und die Violine spielen. So wurde ein Zwiegespräch mit dem Orchester hörbar, das selbst in dem von Musik verwöhnten Berlin Seltenheitswert hat. So gefasst wie verloren klang ihr Ton in diesem Herzstück des Konzerts. Julia Fischer ist nicht nur eine begnadete Virtuosin, sondern schon in jungen Jahren eine reife Künstlerin, die es sich grundsätzlich verbietet, auf vermeintlich mehr aufmerksam machen zu müssen, als es die Partitur hergibt. Und die ist reich, wie diese Aufführung lehrte! Im Finale gestattet sich Brahms eine für ihn fast unglaubliche Extrovertiertheit. Alle Musiker auf dem Podium folgen ihm glaubhaft ohne irgendetwas an dieser Ausgelassenheit zu übertreiben oder gar ironisch zu brechen.