Zur Feier des 100. Geburtstags der Staatsphilharmonie Nürnberg haben sich Staatsintendant Jens-Daniel Herzog und Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz viel vorgenommen. Dabei trifft die eigentlich für 2020 geplante Neuinszenierung von Richard Strauss’ Die Frau ohne Schatten nun zwar verspätet ein, erweist sich aber in ihrem schlüssigen Regiekonzept und überzeugender musikalischer Ausstrahlung als überaus jubiläumswürdig.
Keinen Schatten werfen? Es ist ein Synonym für eine Frau, die nicht schwanger wird. In Hugo von Hofmannsthals Libretto ist die Kaiserin, Tochter eines Geisterkönigs, nach einem Jahr glücklicher Ehe mit dem Kaiser noch immer ohne Kinder. Nach dem Gesetz des Geisterreichs muss ihr Gatte, ein Irdischer, versteinern, wenn sie sich nicht als fruchtbar erweist; sie selbst hat mit ihrer Amme ins Geisterreich zurückzukehren. Auf der Jagd hatte sein Falke einst eine Gazelle erlegt, die sich vor seinen Augen dann in eine schöne junge Frau verwandelte, seine Gemahlin wurde. Der Kaiser sucht den Falken, um wieder Rat zu erhalten. Die Kaiserin bittet ihre Amme, ihr zu einem Schatten zu verhelfen. Diese führt sie voller List zu einem Menschenpaar, dem armen gutmütigen Färber Barak und seiner unzufriedenen Frau. Auch die wirft eigentlich keinen Schatten, weigert sich, ihrem Mann Kinder zu gebären, da er sich zu viel um Brüder und Beruf kümmere. Sie könnte auf einen Schatten-Handel mit der Kaiserin eingehen, ist für das Versprechen von Vergnügen und Reichtum durchaus empfänglich.
Herzog unterscheidet in seiner Inszenierung deutlich zwischen Ebenen des Geisterreichs mit seinen magischen Gesetzen und der Menschenwelt, die wiederum zweigeteilt erscheint zwischen abgehobener Society-Verbindung und hart schuftendem Arbeiterpaar: Menschen, die sich lange kennen und aus Verfremdung wieder zusammenfinden müssen. In diesen Ebenen, aber eben auch dazwischen, begegnen sich Individuen, verhandeln gleichsam ihren Lebenssinn. Am Ende steht die Gewissheit, dass Schatten werfen vielmehr bedeutet: Anteil zu nehmen, fruchtbar im Miteinander zu sein, Mitmensch zu werden.
Ein Glücksfall für bayerische Opernfans, dass das schwierige Märchen nach München auch in Nürnberg zu sehen ist. Während die 2013 dort von Krzysztof Warlikowski entwickelte Einrichtung opulent ausgestattet und überreich an Farben und magischen Videoeffekten erscheint, rückt Herzog die Spielfläche vor schwarzer, kaum gefüllter räumlicher Tiefe dicht an die Rampe, fokussiert den Blick der Zuschauer wie durch ein Brennglas auf das innere Ringen der wenigen Akteure. Die im Stück durchaus angelegten komödiantischen Momente lassen da nur wenig Raum für entspanntes Schmunzeln, tiefenpsychologische Abläufe zwischen den Paaren werden in geschickter Licht- und Videoregie (Kai Luczak, Matthias Neuenhofer) noch bedrückender.
An einem überdimensionalen Mobile hängt (fast) alles, was das Bühnenbild (Johannes Schütz) benötigt: Baraks Hütte mit matt durchscheinenden Wänden, ganz ohne wohnliche Atmosphäre; die Projektion eines stilisierten Campinganhängers, in den sich die Kaiserin zurückzieht, wenn sich ihr Gemahl im umliegenden Gehölz vergnügt. An grauen Tischen drängen und prügeln sich Baraks Brüder. Die Leinwand wird Projektionsfläche für Hoffnungen ebenso wie Trennscheibe unterschiedlicher Partner-Erwartungen, Spiegel von verlorenem wie erwachtem Schatten. Farbtupfer sind selten, dafür wirkt alles schwebend leicht, so wie Strauss’ entrückte Klangfantasien es einstimmen.